Jlrmrefen Umber sifn.
Blau Memorial Collection
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ISOLDE KURZ
IM ZEICHEN
DES
STEINBOCKS
APHORISMEN
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IM ZEICHEN DES
STEINBOCKS &
APHORISMEN
VON
ISOLDE KURZ
MÜNCHEN UND LEIPZIG
BEI GEORG MÜLLER
1905.
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INHALT
*
Im Zeichen des Steinbocks. Gedicht VII
Allgemeines vom Menschendasein i
Mann und Weib 37
Aus der Welt des Herzens 77
Vom Kinde 87
Ethik und Rhythmus qq
Geheimnisse 123
Von der Sprache 143
Aus VtSlkerscelen 153
Vom Genius 173
Poesie 170
Kunst und Künstler 3x3
Unter Menschen 21Q
Aus der Zeit 343
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Ein Flockensturm, als ging’ die Welt zu
Ende,
Die lange Nacht der Wintersonnenwende!
Und morgen tritt durchs winterliche Haus
Des Steinbocks die verjüngte Sonn’ heraus.
Altheil’ges Juelfest, Urväterwonne,
Des Lichts Triumphtag, die Geburt der
Sonne,
Dich ehr’ ich zwiefach, alter Weihebrauch:
Der Sonne Wiegenfest ist meines auch.
Ja, ich betrat die Welt beim Sonnensiege,
Und unterm Steinbock stand auch meine
Wiege,
Zum Sinnbild nahm ich ihn, zum Wappentier,
Sein hohes Zeichen, was bedeutet’s mir?
In reinster Luft, am Rande der Moränen,
Hoch über Fernen, die sich endlos dehnen,
Der Gottheit näher ist des Steinbocks Welt,
Den Adlern und den Sternen zugesellt,
Vertraut dem Abgrund und der Wetterwolke,
(5£K0£^2>:
SS
Ein Märchen fast dem talgebomen Volke,
Der Berge König, tausendfach bedroht,
Lebt er — und Niederungen sind sein Tod.
So weist er aufwärts : wer in seinem Zeichen
Geboren ist, der wag’ es, ihm zu gleichen,
Ihn muß die weglos rauhe Höhe locken,
Nicht vor dem Sturze bangend darf er
stocken,
Auf Gipfeln ist sein Reich und seine Ruh’,
Er muß den ewigen Einsamkeiten zu.
Denn nur in Öden, starren, unfruchtbaren,
Kann er als Sonnenheld sich offenbaren,
Auf heil’ger Höh’ die Juelfeuer zünden,
Das Licht, das neu geboren ward, verkünden.
Und huldreich ist die Sonne sein gedenk,
Wie Königskinder, die mit Festgeschenk
Die Mitgebornen ihres Tages ehren,
Sie aber gibt, was Fürsten nicht bescheren:
Das Haupt zu jeder Lichtgeburt bereit,
Mit Träumen, wahrer als die Wirklichkeit,
Den leichten Fuß, der rasch zum Gipfel trägt,
Die Hand, die wie zum Spiel den Drachen
schlägt.
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Mit solcher Gaben lustvoll strengem Zwange
Schickt ihren Streiter sie zum Siegesgange.
Und tausendfältig strahlt er Glanz zurück,
Daß wer ihn sieht, erkennt, er sah das Glück.
Und wo er wandelt, grünen Lenzesfluren,
Und wo er schied, da läßt er Sonnenspuren,
Ihm weicht die Finsternis, und nur im Grab
Erlischt die Glut, die allen Wärme gab.
Die Dichter, die Propheten und Erfinder,
Die Lichtgebornen all, die Sonnenkinder,
Des Steinbocks hohes Zeichen schwingen sie,
Ein Juelfest der Geister bringen sie.
Zum Dienst der Sonne kam auch ich. Doch
weh’,
Ein schwerer Nebel liegt, wohin ich seh’,
Es dringt kein Strahl hinab zu jenen Gründen,
Wo Irrwischflammen sich am Sumpf ent-
zünden,
Wo unterm Alp die Welt sich stöhnend quält,
Und eins dem andern schweren Traum er-
zählt.
Wie Kranke schleichen sie mit müdem
Blicke,
Der schleppt ein Kreuz und jener eine
Krücke,
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SS
Die Jugend träumt, sie geh’ im weißen Haare,
Der Lenz sei krank, die Liebe auf der Bahre,
Ein jeder zittert um sein Erdenheil,
Und jeder kürzt dem andern seinen Teil,
Die Muse kam und schloß das letzte Fenster,
Und sprach mit irrem Ton: Hier sind Ge-
spenster.
In Winkel kroch sie, wo die Fratzen lauem,
Und trieb das Nachtgezüchte von den Mauern,
Des Alpdrucks Wahn, das ängstliche Ge-
grübel
Vergess’ner Frevel und vererbter Übel,
Daß Hoffnung selbst vor ihrem Blick ver-
steint,
Und jedes Haus das Haus des Atreus scheint.
O Menschheit hobst du jeden Schatz der
Erden,
Um ärmer nur und ärmer stets zu werden?
Wardst du so groß, vertratst die Kinder-
schuh’,
Und deine Kinderseligkeit dazu?
Was kannst du nicht? Dein rollender Planet
Ist kaum noch Schranke, die dir widersteht.
Den Raum bezwingst du, raubst der Zeit die
Beute,
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SH
m
Der Blitz, einst Bote Zeus’, dir dient er heute,
Ringst mit dem Vogel um sein luftig Reich,
Ein Schritt noch, und du bist den Göttern
gleich.
Und doch voll Gram an deines Tages Rüste
Blickst du nach der verlass’nen Jugendküste,
Wo du noch spieltest und die Phantasie
Dir ihre farbigen Bilderbücher lieh !
O, über alle Lande möcht ich’s rufen:
Kehrt heim zu unsrer Lichtaltäre Stufen!
Ein Traum war alles, wollet nur genesen,
Noch ist die Erde, was sie je gewesen.
Noch kehrt der Lenz und seine tausend
Triebe,
Noch glänzt die Freude und noch lebt die
Liebe.
Kommt nur aus eurer Märkte Drang und
Jagen,
Heraus, wo stille, grüne Tempel ragen,
Hört einmal wieder aus des Märchens
Munde,
Dem süßen, unberedten, ewige Kunde,
Nur einmal seht von freien Bergeshöh’n
Die junge Sonne siegreich aufersteh’n,
xin
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Werft hinter euch die Angst, vergeßt des
Neids,
Nennt euch der Sonne Kinder, und ihr seid ’s!
Umsonst, sie hören nicht. Noch immer walten
Des abgestorbnen Jahres Spukgestalten.
Der Sonnenheld, noch ist er nicht erstanden,
Der seine Brüder reißt aus Winters Banden.
Noch tiefer muß das Dunkel uns umstricken,
Der lange Frost die letzten Blüten knicken,
Ein Abend bang wie Weltenabend kommen,
Ein Brand, wie auf dem Idafeld entglommen,
Bis eine Wintersonnwend rauh und kalt
Gleich dieser bringt des Retters Lichtgestalt.
O Heil dir, Göttersohn, von Kraft entzündet,
Komm, wie die Sage dich vorausverkündet,
Wie Wali, Wotans jüngster Ruhmessproß,
Schwing du einnächtig schon dein Siegs-
geschoß,
Die Hand nicht wasche, sollst das Haar nicht
schlichten,
Eh du’s vollbracht, dein Retten, Rächen,
Richten.
Das Wort, das keiner weiß, du wirst es
sagen,
XIV
Siegvaters Wort aus grauen Göttertagen,
Dem toten Balder einst ins Ohr geraunt.
Dann hebt die Erde sich vom Grab und
staunt,
Denn Wunder sind gescheh’n: wo Gletscher
starrten,
Ergrünt ein Feld, erblüht ein Rosengarten,
Die Ströme brechen aus kristallnen Särgen,
Und heilige Feuer glühn von allen Bergen,
Aus Näh und Ferne ziehn geschmückte Gäste
Zu einem Jubel- und Vermählungsfeste:
Es wird Natur, die dunkeläugige Braut,
Dem Geist, des Lichtes hohem Sohn, getraut.
Dann wird das Leben wonnig sein, es werden
Verjüngte Götter heimisch gehn auf Erden,
Beglückt wer dann mit ihnen wohnt und wer
Zum großen Feste kam der Wiederkehr!
Doch weil das Heil noch fern der kranken
Welt,
Und weil mein Licht nur meinen Pfad
erhellt,
Will ich von ihren Festen fern und Fehden
Mich mit der Zukunft einsam unterreden.
Jn ätherleichte Luft, zum Alpenfim
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Trägt mich der Geist, ich fühl’ um meine
Stirn
Das Wehen schon der ungebomen Tage,
Mein Sein leg’ ich getrost auf ihre Wage,
Und leb’ ein Stündchen, wo die Zukunft
webt,
Indes die längste Nacht vorüberschwebt,
Bis mir der Sonne neugebome Pracht
Aus Windeln frischen Schnees entgegen-
lacht.
Wohlauf! Der Steinbock tritt die Herr-
schaft an,
So steige, Seele, mit der Sonnenbahn!
XVI
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Die Welt ist ein Spiegel, worin ein jeder
nur die eigene Seele sieht.
99
Redet mir nicht vom Zufall der Geburt!
Ist denn die Geburt ein Zufall? Sie ist das
Ergebnis der leidenschaftlichsten Wahl durch
viele Jahrhunderte, und immer auch ein ent-
sprechendes Ergebnis.
99
Ahnenkult und Ahnenstolz haben ihren
tiefen Sinn. Es ist nicht gleichgültig, aus
welchem Blut wir stammen, denn unsere
Vorfahren gehen immer leise mit uns durchs
Leben und färben, uns selber unbewußt, all
unser Tun.
In den großen Schicksalsstunden scharen
sie sich als unsichtbare Leibwache um uns,
wir fühlen ihre gemeinsamen Kräfte, die
uns durchdringen, ohne zu wissen, woher
diese Kräfte uns gekommen sind.
99
3 x *
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Jede menschliche Natur ist ein Wider-
spruch, aus zwei verschiedenen, häufig
gegensätzlichen Naturen zusammengefügt.
Zieht man noch die Ahnenreihe hinein, die
sich aufwärts ins Unendliche verliert, so er-
kennt man, daß schon die ganze Menschheit
zur Herstellung des Einzelnen verwendet
worden ist, wie sich sein Ich abwärts ins
Unendliche spalten und sich am Ende wieder
über die ganze Menschheit verteilen muß,
denn Blutsverwandte sind wir alle. Wo sollte
da Einheit des Charakters noch herkommen ?
Die gab es im Altertum, wo di© Lebensbedin-
gungen ähnlicher und wo die Völker weniger
gemischt waren oder das Gemischte gleich-
mäßiger assimiliert.
Die Abhängigkeit von der Umgebung ist
nur unbedingt wahr für den gemeinen Men-
schen. Unser „Milieu“ sind nicht die Spieß-
bürger, die in einer Stadt mit uns leben,
sondern der geistige Boden, aus dem wir
unsere Nahrung ziehen. Die großen Men-
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sehen aller Zeiten, mit denen wir von klein
auf verkehren, die sind’s.
Aufgabe der verfeinerten Selbstsucht : so-
viel Schmerz wie möglich aus der Welt
schaffen, alles Lebende in seinen Egoismus
einschließen. Wer Glück zerstört, wer die
Last des Jammers auf der Erde vermehrt,
der darf nicht hoffen, daß der Luftdruck
über seinem eigenen Haupt geringer werde.
Wahrhaft großes Empfinden zeigt sich
nicht darin, daß man sich ausschließlich mit
großen Dingen beschäftigt, sondern daß man
auch das Kleinste dem Großen anzugliedem
weiß.
W
Das Gros der Menschen ist nur in der
Jugend genießbar, nach fünfundzwanzig hört
bei den meisten die Entwicklung auf, und
sie beginnen zu schrumpfen. Deshalb sehen
sie auf ihre Jugend zurück, als auf eine Zeit
höherer Fähigkeiten, ein geschwundenes Pa-
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radies. Bei dem begabten Menschen steht
der Fluß des Werdens niemals stille, und
er empfindet sein Ich nicht anders, als in
der Jugend, daher ihm der Flug der Zeit
nicht zum Bewußtsein kommt.
Die meisten Menschen sind wie schlecht
konstruierte Lampen, jene billige Fabrikware,
die gleich trübe brennen, sobald das öl ein
wenig gesunken ist. Dagegen gibt es einige
wenige vom Schöpfer so vortrefflich aus-
gearbeitete Mechanismen, daß sie durch
nichts verdorben werden können und das
gleiche Licht verbreiten, bis der letzte Trop-
fen öl verzehrt, ja bis die letzte Feuchtigkeit
aus dem Dochte gesogen ist. Solche Men-
schen sind Gottes Handarbeit.
n
Das Individuum will sich einmal mani-
festieren, ehe es in den Schoß der Allgemein-
heit zurückkehrt. Bleibt ihm gar kein Mittel,
sich auszuzeichnen, so schreibt der Alltags-
mensch wenigstens seinen Namen mit einer
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geschmacklosen Bemerkung ins Fremden-
buch, damit die Nachfolgenden wissen, daß
er auch dagewesen.
Geistlose Menschen können nicht freudig
sein, die Materie lastet mit zu schwerem
Druck auf ihnen.
Auf törichte Wünsche wartet zuweilen
eine grausame Strafe: ihre Erfüllung.
Der gefährlichste Sturz ist der von einem
Luftschloß herunter. Stark ist, wer sich da-
von wieder erholen kann. Die meisten
kriechen mit zerschmetterten Gliedern noch
eine Strecke weiter, bis sie elend liegen
bleiben.
Das Leben ist ein fortgesetzter, unfrei-
williger Tauschhandel. Wir glauben unser
liebstes Gut auf immer festzuhalten, und
schon landet, von uns unbeachtet, das Schiff,
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das es uns entführen wird. Und während
wir ihm hoffnungslos nachstarren, taucht am
fernen Horizont ein Segel auf, das den Er-
satz bringt.
Es kommt ein Augenblick, wo auch der
Glücklichste vollkommen allein ist, denn das
letzte Wort auf Erden hat jeder mit dem
eigenen Körper zu reden.
Nichts charakterisiert den Menschen
mehr, als das, wofür er niemals Zeit findet.
r*
Jeder edle Mensch muß vorher alt
werden, ehe er jung wird.
Überlegung kann Schurken machen, un-
bedachtes Handeln macht sie nie. Darum
fliegen den impulsiven Naturen alle Herzen
entgegen.
**
Den Ehrgeizigen soll man nicht schelten.
Der Erfolg kann den Menschen innerlich
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weiter machen. Verkanntes Verdienst fällt
oft auf eine plumpe Schmeichelei herein,
die das verwöhnte Glückskind verachtet.
Ein häßliches Mädchen wird durch ein
Kompliment verführt, das an einer gefeierten
Schönheit unbeachtet niedergleitet.
Es ist nicht zu verwundern, daß be-
schränkte Menschen so eigensinnig sind.
Wem das Denken große Mühe macht, der
weiß wohl, warum er das einmal Aufgenom-
mene so lange wie möglich festhält, statt
sich gleich einer neuen Mühe zu unterziehen.
Eitelkeit macht geziert und unruhig,
Selbstgefühl gibt N atürlichkeit und Sicherheit.
Dem oberflächlichen Weltkind ist ein
bißchen Eitelkeit nicht schädlich, es ist
eben auch nur oberflächlich eitel; eitel auf
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kleine Talente oder äußere Vorzüge. Aber
wehe, wenn die Eitelkeit sich der ernsthaften,
pedantischen Naturen bemächtigt. Die neh-
men es mit der Eitelkeit selber ernsthaft und
beziehen sie auf die ernsthaften Dinge, wie
Charakter, Kenntnisse usw. Deshalb steht
keine Eitelkeit in so üblem Geruch, wie Ge-
lehrteneitelkeit.
Die Zeit wird nicht nach der Länge,
sondern nach der Tiefe gemessen.
Zeiten, in denen wir nichts erleben, sind
endlos, wie ein langer, weißer, schatten-
loser Weg, worauf man keiner lebenden Seele
begegnet.
r*
Wer jeden Augenblick mit tiefem Ge-
halte erfüllen kann, hat seine Lebensspanne
zur Unendlichkeit erweitert.
4 *
io
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Weil die Zeit keine absolute, nur eine
relative Länge hat, deshalb ist jedes starke
Empfinden ewig, auch wenn es nur einen Tag
gedauert hätte.
\
Es ist kein Mensch zu beneiden, er stehe
so hoch und fest er wolle. Der unaufhaltsame
Planet schwingt sich um die Sonne und ver-
nichtet durch seinen bloßen Umlauf alles
Erdenglück.
WIDERSPRUCH DES LEBENS. Man
hüte sich, die menschlichen Geschicke nach
Regeln und Analogien zu berechnen. Jeder
Fall ist der erste und der letzte seiner Art,
denn nichts wiederholt sich jemals ganz auf
Erden. Gerade die Erfüllungen, die die All-
tagsweisheit am sichersten vorhersagt, treffen
niemals ein. Im Augenblick der Entscheidung
ist das ganze Spiel verschoben: der Mutige
wird feig, der Egoist begeht eine großmütige
Handlung, und von allem Erwarteten ge-
schieht das völlige Gegenteil.
n
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M«gg5i
Das Leben führt uns ewig ad absurdum,
und dieser ewige Widerspruch ist es gerade,
was das Leben so interessant macht.
Die einzigen Menschen, die ein völlig
ruhiges Gewissen haben, sind die großen
Verbrecher.
MORAL UND PSYCHOLOGIE. Wie
viel freudiger lebte sich’s unter den Men-
schen, wenn unsere sittliche Überlegenheit
über den Nächsten nicht wäre, das Richten
nach idealen Forderungen, die in ihrer Ge-
samtheit nirgends auf Erden erfüllt werden.
Dieses moralische Besserwissen, dieses
„er sollte“, „er müßte“ des einen vom andern
kann einen Menschen mit psychologischen
Tastorganen in die Verzweiflung und von
da in die Einsamkeit treiben. Wo ist denn
der Sterbliche, der immer handelt, wie er
sollte und müßte? Der heute diese Worte
braucht, wird morgen selber durch sie ge-
richtet. Höchstens für Kinder oder für Ma-
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trosen, die auf einem Schiff beisammen leben,
ist die Pflicht eine so einfache, gradlinige
Sache. Unsere Verhältnisse zusammen mit
unseren Anlagen bilden ein so unendlich
kompliziertes Gewebe, daß in hundert Fällen
neunzigmal dem „ich sollte“ ein „ich kann
nicht“ gegenübersteht.
Wenn sich nun wenigstens die morali-
sche Superklugheit auf den einzelnen Fall
beschränkte! Aber wie wenige können dem
Anreiz widerstehen, von da sofort einen
Rückschluß auf den ganzen Charakter zu
ziehen, und dann ist der Spruch der summari-
schen Justiz fertig. Wie groß, wie selbst-
gerecht, wie unantastbar ist der Herr Jeder-
mann, so lang er das Gesetz im Munde führt.
Wie hoch blickt er von den Schnee-
gipfeln der idealen Forderungen auf den
armen Teufel, der sie nicht erfüllen konnte,
nieder. Aber bitte, Verehrtester, steigen Sie
einmal von Ihrer abstrakten Höhe in die
Ebene des Lebens herunter und messen Sie
hier Ihren Wuchs mit dem seinigen. Das
darf ich natürlich nicht laut sagen, deshalb
decke ich mich in solchen Fällen durch eine
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klassische Autorität und erwidere mit Ham-
let : „Gib jedem, was er verdient, so ist keiner
vor Prügeln sicher.“
Die Menschheit hat wohlweislich ein
höheres ethisches Ideal aufgestellt, als sie
verwirklichen kann. Nach starrem Rechts-
spruch ist der Mensch in jedem Augenblick
an sich schon verdammlich, weil er
„In der Menschheit traurigen Blöße
Steht vor des Gesetzes Größe“,
jenes ungeschriebenen Gesetzes, das jeder in
der Brust trägt, dessen Erfüllung er aber
zumeist — von den andern erwartet.
Es ist der Grundwiderspruch der mensch-
lichen Natur, die wahre „Erbsünde“, dieser
klaffende Riß zwischen dem, was der Mensch
vom Menschen fordert, und dem, was er
selber leisten kann. So gibt es ja nur in der
Geometrie, aber nirgends in der Natur eine
völlig gerade Linie. Und nur in der Arith-
metik gehen die Rechnungen richtig auf, im
Leben bleibt immer ein unlösbarer Rest
zurück. Der Dichter kennt diesen Rest — er
ist sein eigenstes Gebiet — , der Psychologe,
der Erzieher kennt ihn, aber die große Menge
derer, die sich denkende Menschen nennen,
weiß nichts von ihm und schreit immer aufs
neue, wo er ihr entgegentritt.
Nun ist zum Unglück auch unser gei-
stiges Auge so eingerichtet, daß wir die Kon-
turen der Dinge viel schärfer wahrnehmen,
als sie in Wirklichkeit sind. Wir sehen einen
dicken, schwarzen Strich, wo in Wahrheit
Licht und Schatten viel zarter ineinander-
fließen.
Wir sind alle mehr oder minder un-
duldsam gegen Laster, die nicht in unserem
eigenen Temperament liegen. Und das ist
ganz natürlich. Wem der Wein nicht
schmeckt, wie soll der den Trunkenen be-
greifen? Dagegen zeugt es von niedriger
Gesinnung, wenn einer besonderes Ärgernis
an solchen Sünden nimmt, die ihn gleichfalls
reizen würden, zu denen ihm aber die Ge-
legenheit fehlt.
99
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I
Bi
Die tugendhafte Frau, die sich mit ihrer
Tugend langweilt, aber nicht den Mut zum
Leichtsinn findet, die ist es, die den ersten
Stein auf die gefallene Schwester wirft.
Aber hier verlassen wir schon das Gebiet
der falschen Moral und kommen in das des
gemeinen Neides.
Wie manches Mal habe ich gewünscht,
die juwelenstrahlende Weltdame möchte sich
mit meinen Augen sehen, wenn sie, durch ein
einziges Wort verwandelt, plötzlich mit dem
Wasserkübel auf dem Kopf als Lischen am
Brunnen vor mir stand.
Un errore, sagt der leb ens weise Italiener,
wo der harte, abstrakte Germane gleich von
Schuld, Übertretung, Bruch des Gesetzes
spricht. Richtig, denn die meisten Vergehun-
gen sind Irrtümer — die Ate.
Ab und zu begegnet man Menschen, die
ihre Grundsätze nicht nur auf die andern,
sondern auch auf sich selber anwenden und
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deren Leben darum in einer schnurgeraden
Linie verläuft. Diese genießen denn auch
einen so großen moralischen Kredit, daß sie
innerhalb ihres Kreises die Richter und Rater
in allen Gewissensfragen spielen. Aber ge-
rade sie sind dazu am wenigsten berufen,
denn sieht man sie näher an, so sind es
rechtschaffene, spießbürgerliche Leute, in
deren Adern das Blut so langsam fließt und
deren geistiger wie auch gesellschaftlicher
Horizont so eng ist, daß sie das Leben ganz
zum Rechenexempel gemacht und mit Prin-
zipien wie mit Wickelbändem umschnürt
haben. Das imponiert dem Unerfahrenen,
dem Autoritätsbedürftigen, der die Gedanken
anderer zum Denken braucht. Aber wie schnell
versagen diese Orakel vor den Konflikten
einer bedrängten Seele. Wie sollte auch der
Philister, der nichts erfahren hat und nie
die Grenzen des Menschlichen abgetastet,
mit seiner Buchweisheit und Buchmoral in
die Abgründe des Lebens leuchten? Die
Bravheit und Unbescholtenheit tun es nicht,
und alles Erlernte steht hilflos dem Leben
gegenüber. Wer den Gewissen ein Führer
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sein will, der muß selber mit Engeln und
Dämonen gehaust haben und Verantwortun-
gen getragen, aus denen die Erkenntnis fließt.
So einem Renaissancemönch, der sich aus
wilden Abenteuern in die Stille der Zelle
zurückgezogen hatte, um nachzudenken,
einem solchen mochte sichs gut beichten.
Wessen Tugend aber von der negativen Art
ist, der hat höchstens Licht genug, um seinen
eigenen Weg zu finden.
Wer aus den moralischen Forderungen
die letzten strengsten Konsequenzen ziehen
will, dem bleibt nichts übrig, als in eine
menschenleere Wüste zu fliehen. Und wenn
er sich besinnt, so wird er vielleicht auch
dort erkennen müssen, daß immer noch einer
zu viel da ist.
In dieser schrecklichen Enge hat die Na-
tur uns zwei Sicherheitsventile gegeben: die
Nachsicht, die nichts ist, als die angewandte
Gerechtigkeit im Gegensatz zur abstrakten,
und den Humor.
**
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Der Durchschnittsmensch sieht von
seinem Gegenüber immer nur die eine, ihm
jeweils zugekehrte Seite. Er kann sich in den
Oszillationen des Tages kein klares und un-
verrücktes Bild der anderen erhalten. So
entsteht das beständige Auf und Ab in der
Beurteilung der Charaktere, das wechselnde
Überschätzen und Verwerfen, das den un-
befangenen Zuschauer mitunter fast see-
krank macht.
Die seherisch angelegten Naturen tragen
das Ganze eines Menschen als festes Bild
mit Licht und Schatten in sich herum, das
durch die wechselnden Erfahrungen nur leise
modifiziert, nicht häuptlings umgestürzt wer-
den kann. Widersprüche erstaunen sie nicht,
denn sie wissen, daß diese zum Ganzen einer
Individualität gehören. Sie kennen keinen
sittlichen Eifer, und die richterliche Weisheit
der andern ist ihnen ein Greuel; mehr noch
als ihr Gemüt, empört sie ihren Intellekt.
Das bringt sie in beständigen Gegensatz zu
ihrer Umgebung, der solche Objektivität nicht
selten als Kälte oder moralische Indifferenz
erscheint. Gewiß ist ein Hauptgrund, wes-
19 2*
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halb so oft die Dichter und Seher sich in
späteren Jahren ganz vom Verkehr der Men-
schen zurückziehen und ihr Leben in selbst-
gewählter Einsamkeit beschließen: die blin-
den Urteile der Schnellfertigen nicht mehr
hören zu müssen.
ARTIG AUCH GEGEN SICH SELBST.
Wenn man seine Mängel nicht hätscheln
soll, so hat man doch auch nicht nötig, sie
mit Keulen auszutreiben. Man behandle sein
Ich wie einen erprobten Freund, an dem man
gelegentlich gern einen Fehler abstellen
möchte. Man suche sich selbst durch freund-
lichen Zuspruch, allenfalls durch ein bißchen
Schmeichelei, zum Besseren zu bereden. Man
sage sich zum Beispiel in einem Moment
der Verzagtheit:
„Komm! Ich kenne dich ja sonst als
brav, hast schon manches Mal gut bestanden,
wirst mir doch diesmal keine Schande
machen.“
Das Gelobtwerden für eine Eigenschaft,
die man nicht hat, wird häufig zum Sporn,
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sich diese Eigenschaft zu erwerben, und der
wahrhaft Kluge muß auch verstehen, sich
selber zu überlisten.
Das abstrakte Moralpredigen dagegen ist
beim eigenen Ich so wirkungslos, wie beim
fremden.
DER DANK EIN ÜBEL. Dank soll man
weder geben noch fordern. Er würdigt beide
Teile herab. Durch einen Dienst, den man
mir erweist, darf ich in nichts gehindert sein,
sonst verwandelt sich die Wohltat in eine
Übeltat, und nur aus dieser Gesinnung her-
aus darf ich anderen etwas Gutes erweisen.
Wenn ihr mich nicht liebt für das, was ich
bin, — für das, was ich tue, sollt ihr mich
nicht lieben müssen, denn so halte ich’s auch
mit euch.
Wer sich zur Dankbarkeit verpflichten
läßt, der trägt eine Kette, gegen die er sich
früher oder später empören muß, denn alle
Liebe will Freiheit und Freudigkeit. Eine
Wohltat, sei sie noch so groß, ist durch
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innere Abhängigkeit zu teuer bezahlt. Wer
sie in dieser Absicht erweist, macht ein Ge-
schäft, bei dem er den Freund übervorteilt,
und bleibt dabei doch der Betrogene. Um
gerecht und liebevoll zu bleiben, habe man
den Mut, undankbar zu sein.
r*
Das Danken ist eigens erfunden, um die
Last der Dankbarkeit aufzuheben. Es ist eine
Handlung, die sich mit einer anderen Hand-
lung scheinbar ins Gleichgewicht setzt, was
ein bloßes Gefühl nicht könnte. Sie macht
denjenigen, der sie vollzogen hat, wieder
zu einem freien Menschen.
MACHT DER ÜBERZEUGUNG. Nichts
auf Erden ist so unwiderstehlich wie Über-
zeugung, die aus tiefster Seele kommt. Sie
ist der Strom, der alle Dämme bricht und
alle Wasser mit sich reißt. Sie unterwirft
sich sogar die Welt der Sinne. Eine häßliche
Frau kann durch den felsenfesten Glauben,
schön zu sein, ihre Umgebung so beein-
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flussen, daß diese nicht mehr wagt, sie häß-
lich zu sehen. Ja, dieser Glaube braucht
nicht einmal ausgesprochen zu werden, er
teilt sich von selbst der Umgebung mit und
schlägt den Widerspruch der Augen nieder.
DER GROSSE UND SEINE ZEIT.
Bringt die große Zeit das große Individuum
hervor, oder umgekehrt das große Indivi-
duum die große Zeit? Müßige Frage. Immer
wenn die Spannung sehr groß wird, so gibt’s
irgendwo eine große Entladung, die der große
Mensch heißt. Dieser wird das gestaltende
Prinzip, durch das die ringenden Gewalten
seiner Zeit sich klären.
DER KLEINE UND SEINE ZEIT.
Wenn einer seufzt: „Ach ja, zu meiner Zeit“
— so hat er mit drei Worten sein Bild ge-
zeichnet. Ich sehe ihn vor mir, wie er
ein Weilchen flott mit seinesgleichen den
breiten Strom hinuntertreibt, vielleicht wäh-
rend des Dezenniums, in das seine zwan-
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ziger Jahre fallen, und wie schon das nächste
Dezennium ihn über Bord wirft. Wer seine
eigene Welt hat, dessen Zeit ist nie und
immer.
»f
UNSER EIGENTUM. Das ganze Leben
wird uns von außen aufgedrungen, nur eines
gibt es, was wir selbst gestalten können :
unser Ich. Dies ist der Garten, den ein jeder
zum Bebauen erhalten hat. Wenn er ver-
wildert und verödet, so ist es unsere eigene
Schuld. Wir können keinen, aber auch gar
keinen Genuß im Leben finden, als von den
Früchten, die in diesem Garten gewachsen
sind,
**
DIE WERDENDEN. Welch größere
Wohltat kann man einem suchenden Men-
schen erweisen, als daß man ihm zu seinem
eigenen Ich den Weg finden hilft?
Niemand soll junge Leute von Dumm-
heiten zurückhalten. Dummheiten sind die
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beste Grundlage für künftige Weisheit. Weis-
heit der Jugend ist ein unerfreuliches Ge-
wächse. Freilich gibt es auch ab und zu
begabte Individuen, die nicht von vom an-
zufangen brauchen, die schon mit allen Er-
fahrungen wie mit Niederschlägen einer
früheren Existenz zur Welt kommen. Aber
sie bringen auch eine Müdigkeit mit und
passen nicht ins Leben, weil sie zum Han-
deln unfähig sind.
Der starke Mensch verzeiht sich jede
Torheit, wenn sie ihn innerlich gefördert hat,
weil er ihren Folgen tapfer standhielt. Was
man sich nie verzeiht, sind die Unterlassungs-
sünden, die kleinliche Vorsicht, wenn man
etwas Großes hätte erleben können, dem man
feige ausgewichen ist. Denn der starke
Mensch hat einen Anspruch auf Kampf und
Leiden. Es kommt eine Stunde, wo ihm des
Glücks und Wohlseins zu viel wird, dann
ruft er, um zu wachsen, selbst das Unglück
herbei.
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SJi
Der starke Mensch verlangt im Grunde
gar nicht, glücklich zu sein, er verlangt viel-
mehr die Grenzen seiner Natur abzutasten.
All die persönlichen Eigenschaften kennen
zu lernen, für die es im täglichen Leben
keinen Raum gibt. Wie wenigen von uns
ist es überhaupt noch vergönnt, sich selber
zu erleben. Und das, woran wir am meisten
leiden, ist nicht das Unglück, das uns trifft,
es sind die Gespenster aller jener Erlebnisse,
für die unsere Natur ausgerüstet ist, die uns
aber nie und nirgends begegnen wollen.
Zuweilen klafft ein breiter Riß zwischen
dem Talent und dem Naturell eines Men-
schen. Das Talent treibt ihn, Dinge zu tun
und zu sagen, die ihn in einen Zwiespalt
stürzen, dem die Kraft seines Naturells nicht
gewachsen ist. Dann verstummt sein Genius
und überläßt ihn der Verantwortlichkeit, die
er ihm aufgeladen hat. Delikate, sensible Na-
turen stürzen leicht in den Abgrund hin-
unter, an dessen Rand sie durch Zwang
des Talents getrieben werden.
»»
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SELBSTERZIEHUNG. Wenn ich einen
Briefwechsel oder ein Tagebuch aus dem
Anfang des neunzehnten Jahrhunderts lese
oder wenn ich mir ganz alte Leute ins Ge-
dächtnis zurückrufe, deren Jugend noch
durch jene Zeit beeinflußt war, so überrascht
mich nichts so sehr, als wie diese Men-
schen an sich selber gemodelt und ziseliert
haben. Sie sahen ihr Ich als ein Kunstwerk
an, das die Natur nur roh abbozzieren konnte,
und dessen Ausführung ihnen selbst über-
lassen blieb. Auch die höchsten, edelsten
Geister fühlten — und gerade die am meisten
— , daß es noch vieler Arbeit bedurfte, um
den Namen „Mensch“ zu verdienen. Wer*
von uns Heutigen hat noch den Trieb, an
seiner inneren Veredlung zu arbeiten? Glück
genug, wenn wir von Natur aus nicht ganz
verwahrlost sind, von uns selber aus sind
wir’s gewiß. Und ganz naiv wie Wilde
stehen wir neben diesen Charakterkünstlern
und Selbsterschaffem. Der Mensch im Ur-
zustand bildet nur die Fähigkeiten aus, die
ihm im Lebenskämpfe vorwärts helfen,
andere kennt er nicht oder er verlacht sie.
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■AMBgUeCK 0gft35g KSg)
Auf diesen Standpunkt sind wir zurückver-
wildert. Unsere ganze Selbsterziehung geht
darauf aus, uns womöglich eine dicke Haut
und starke Ellenbogen anzuschaffen. Von
jener inneren Reinlichkeit, die unsere Alten
trieb, ihre Seelen immer so gründlich zu
waschen, wie wir den Leib, davon ist keine
Spur mehr vorhanden. Wir lassen unsere
angeborenen Gebrechen ruhig wachsen und
gedeihen, es wäre denn, daß sie uns am
weltlichen Fortkommen verhinderten. Dies
ist der einzige Fall, wo ihnen entgegenge-
arbeitet wird.
Es gibt zwar noch Naturen mit künst-
lerischem Bedürfnis, die ihren Geist wie
eine herrliche Parkanlage behandeln, wo man
Haine pflanzt und Blumenbeete anlegt,
Hecken durchbricht, um Wege zu ziehen
und Aussichtstürme zu errichten. Diese Gat-
tung lebt noch, obgleich sie selten geworden
sind, die letzten Exemplare der Spezies Kul-
turmensch. Aber Gemüt und Charakter
gleicherweise urbar zu machen, den ganzen
Menschen zur künstlerischen Vollendung zu
bringen, das fällt ihnen gar nicht ein. Diese
großen unendlichen Gebiete ihres Ichs geben
sie jedem Zufall preis, hier herrscht der
roheste Naturalismus. Sie sind zu blind oder
zu schlaff oder zu eingebildet, um da Hand
anzulegen, und ertragen es geduldig, daß
Verhältnisse und Erziehung sie verpfuschen,
sie geben sich willenlos zum Objekt äußerer
Einwirkungen her. Ihr ästhetisches Gefühl
ist nach dieser Seite völlig stumpf. Die gei-
stige Kultur hat mit Seelenadel nichts mehr
zu tun, und nicht nur die materiellen, sondern
auch die höchsten geistigen Güter befinden
sich großenteils in den Händen von reich
gewordenem Pöbel, denn auch geistige
Güter sind mit Geld zu erwerben.
Pöbel ist jeder, der nur mit persönlichen
Zwecken umgeht : erwerben, scheinen, gelten,
verdrängen, festhalten. Pöbel ist, wer vor
dem Unglück stehen kann, ohne sich für
einen Augenblick wenigstens seines Wohl-
befindens zu schämen. Wer nicht in seinem
Herzen einen umhegten Garten hat, dessen
Blumen er schont und gießt, und den Freunde
ohne Gefahr betreten können, der ist Pöbel.
Seit unsere Kultur ihr altes Fundament,
den Humanismus — wie bezeichnend war
schon das Wort für das ganze Streben! —
hat abgraben und sich ein neues, die Natur-
wissenschaften, unterschieben müssen, gibt
es keine vollen Menschen mehr. Es gibt
sie noch nicht wieder, sollte ich besser
sagen, denn eine Höhe, die einmal erreicht
war, kann nicht auf die Dauer verloren gehen.
GEISTIGE STRÖMUNGEN. Ebenso
wie im Kosmischen, braucht es auch in der
Ideenwelt die kalten und warmen Strö-
mungen, die einander begegnen, durchdrin-
gen, ablenken und modifizieren müssen ; den
Golfstrom der Begeisterung, den auf seinem
Lauf die Palme begleitet, und die eisigen
Polarwasser der Skepsis, der Kritik und Ne-
gation, um die allgemeine Bewegung zu er-
halten.
Im Seelenleben kann sich, wie im Reich
der Natur, Wärme jederzeit in Bewegung
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SS
ES
umsetzen. Wo ich stark empfinde, kann ich
meine Empfindung auf andere übertragen,
bin ich aber kalt, so bleibt alles um mich
starr und regungslos.
DEFINITIONEN. Alles Seiende ist ein
großer Zusammenhang. Wo man durch-
schneidet, um ein einzelnes Glied heraus-
zuheben, da wird der Lebensnerv durch-
schnitten, und man hat ein Stück toter Ma-
terie in der Hand. Es ist etwas Häßliches
und Gehässiges um die Sucht der Menschen
zu definieren. Wo man definiert, da irrt
man schon, denn definieren heißt Grenzen
ziehen, und die abstrakten Dinge haben keine
Grenzen. Aber manchem ist erst wohl, wenn
er zwischen lauter festen Sätzen auf- und
abgehen kann, wie ein Kerkermeister zwi-
schen Gefangenenzellen, in denen er die
armen Häftlinge lebendig eingemauert ver-
schmachten läßt.
Worte sind meist die Häscher und Scher-
gen des Gedankens. Man sollte den Mund
nur öffnen, um eingeschnürten Wahrheiten
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SH
die Freiheit zu geben, nicht um neue Ge-
fangene zu machen.
NEUE GEDANKEN. Wirklich, es gab
einmal neue Gedanken! In der Zeit, wo die
Menschen viel langsamer und bedächtiger
dachten, konnte es kommen, daß einer einen
Gedanken fand, der ganz neu und blank war,
der den Hörer überraschte und sich ihm als
etwas Wahres, Dauerndes in die Seele prägte.
Das mußte ich denken, als ich die „Trost-
schrift“ des Plutarch an den Appolodoros
las. Als der Mann sich hinsetzte und so
viele Zeit verlor, um einem Vater über den
Tod seines Sohnes alle jene Tröstungen zu
schreiben, die uns so schrecklich banal klin-
gen und gar nichts mehr sagen, da waren
sie noch etwas, waren Gedanken, die einer
zum erstenmal dachte, die der andere zum
erstenmal hörte und sie wie köstliche Spen-
den aus unbetretenen Kammern empfing. Sie
zeigten ihm das Ereignis in einem ganz
neuen, überraschenden Lichte, und haben ihn
vielleicht — ja gewiß — in Wirklichkeit ge-
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tröstet. Wo nähme man heute noch einen
Gedanken her, der durch Neuheit so be-
zaubernd wirkte? Sie fliegen alle wie Spreu
herum, sind ausgedroschen und haften
nirgends.
TODESSTRAFE. Die Todesstrafe ist
eine empörende Ungerechtigkeit, weil jeder
Unschuldige, der von einer Hinrichtung
Kenntnis hat, mit hingerichtet wird. Doppelt
empörend ist es, daß man mit Vorliebe den
Sonnenaufgang zum Zeugen nimmt. Ist das
noch eine Erinnerung an die alten, gräß-
lichen Opferbräuche, die den Sonnengott
durch Menschenblut zu ehren glaubten?
Welch ein widriger und abscheulicher Ge-
danke, daß Morgenstunde Blut im Munde
haben soll! Daß der Verurteilte aus Schlaf
und Traum, die ihn wieder unschuldig ge-
macht haben, herausgerissen und wie ein
Kind, das kaum noch von sich selber weiß,
dem Henker übergeben werden soll! Denn
der erwachende Mensch ist gleich dem Kinde.
Macht eure alten, scheußlichen Bräuche
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SS
%
in der Mitternacht ab, wenn ihr nicht davon
lassen könnt, dahin gehören sie. Der junge
Tag will noch rein sein von Blut, wie jeder
Mensch in der Frühe selber wieder rein wird
und mit unschuldiger Müch- und Pflanzen-
nahrung sein erneutes Dasein beginnt.
MENSCH UND GOTT. Die Gottheit be-
darf ebenso des Menschen, wie der Mensch
der Gottheit bedarf.
r*
Ein völlig einfältiger Glaube steht am
besten dem Manne der Tat zu Gesicht. Von
dem Helden erwartet man nicht, daß er zu-
gleich Denker sei; er bedarf eines ganz per-
sönlichen, unmittelbaren Zusammenhangs
mit der Gottheit. So kann er das Ungeheure
unternehmen, kann sich als einziger Weißer
mit einem kleinen geworbenen Negerhäuflein
in einen unerforschten Erdteil wagen, Fein-
den entgegen, deren schauerliche Naivität
nur ein schätzbares Stück Kochfleisch in
ihm sieht. Wenn die Tore der Zivilisation
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auf Jahre hinter ihm zugeschlagen sind, wenn
der Tod auf Schritt und Tritt mit Sprüngen
eines tollen Affen hinter ihm hersetzt, dann
fühlt er sich durch einen direkten Faden von
oben gehalten und erlebt Stunden, wie sie
kein anderer erleben kann. Er wird für sich
selber eins mit der Weltordnung, deren Be-
fehle er vollzieht. Um so liebenswürdiger er-
scheint er, wenn er bei der Heimkehr wieder
unter die Sterblichen zurücktritt, indem er
die Trophäen, auf die er sich selbst kein
Recht zuschreibt, im Heiligtum seines Gottes
niederlegt.
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MANN
UND
WEIB
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Gottes Auge sieht von Anbeginn zwei
Menschen einander gegenüberstehen: Mann
und Weib. Wie die Zwei sich lieben und
hassen, so haßt und liebt sich nichts mehr
auf Erden. Für ihn sind es immer die näm-
lichen, denn was zwischen ihnen geschieht
in Liebe und Haß ist durch die Jahrtausende
immer dasselbe. Er kann da so genau nicht
Zusehen.
Mann und Weib sind zwei Nationen,
die niemals fraternisieren, am wenigsten,
wenn sie sich zu der großen Allianz die Hand
reichen.
**
Liebe macht die Frauen hellsehend und
die Männer blind. Denn die Frau will ein
Ideal verwirklichen, der Mann will nur seinen
Willen durchsetzen und unter allen Um-
ständen Recht behalten.
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Die Männer leiden an einer Art geistiger
„Übersichtigkeit“. Sie sehen ferne Horizonte,
aber nicht die kleine Welt, die vor ihrer
Nase liegt. Darum werden sie von den
Frauen, denen die kleine Welt gehört, an
eben dieser Nase herumgezogen.
Männer, die von dieser Regel eine Aus-
nahme machen und die Frauen durch-
schauen, sind für die Frauen unwiderstehlich,
vorausgesetzt, daß sie zugleich die großen
Horizonte umfassen. Ist dies aber nicht der
Fall, so werden sie von ihnen verachtet.
Es ist ein Stück Atavismus, daß raffi-
nierte Männer die Frauen mißhandeln, um
von ihnen geliebt zu werden. Die Wüden
fingen die jungen Mädchen ein, betäubten
sie mit Keulenschlägen und schleppten sie
in ihre Hütten. Es war dies die Form der
Werbung, durch die sie auf die Liebe vor-
bereitet wurden, und noch heute gibt es
Beispiele genug, wo diese Form, ins Mo-
ralische übertragen, mit Erfolg angewendet
wird.
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„Ist es dem Menschen nicht gestattet,
Tiere zu jagen, Bäume zu fällen für seine
Notdurft zur Speisung und Heizung; Blumen
zu pflücken zur Lust seiner Augen? Und
sollt’ ich, ein Mann, nicht zum Spiel das
niedere Wesen, das Weib, mir pflücken?“
Nur immerzu! Pflücke so viel du
pflücken kannst, von dem, was niedrig
wächst, du brauchst dich nur zu bücken.
Wenn du dich am Ende deiner Bahn be-
sinnst, so wirst du finden, daß du selber
der Zerpflückte bist.
Schwachheit des Weibes! Ja, sie ist un-
aussprechlich, es gibt nur ein Geschöpf, das
schwächer ist — der Mann!
Die schönen Frauen sind dem Manne im
ganzen nicht sehr gefährlich, denn sie
machen Ansprüche, die er sich schwer auf
die Dauer gefallen läßt.
Was er zu fürchten hat, ist eine gewisse
Sorte Frauen, die von der Natur mit wenig
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Reizen und gar keinen inneren Gaben aus-
gestattet sind. Das sind die Schmarotzer-
pflanzen des weiblichen Geschlechts. Sie
haben nichts, als ihre Bedürftigkeit, womit
sie sich am Manne anklammern und fest-
saugen. Sie kriechen am Boden hin und
umschlingen ihn von unten auf. Sie haben
keinen Willen, keine Gedanken, keine eigene
Geschmacksrichtung, sie haben nur den
Trieb, sich festzuklammem, sie fordern keine
Achtung, dulden jeden Fußtritt, arten sich
nach Belieben um, aber halten fest. Die sind
es, die das Unglück des ganzen Geschlechtes
in der Liebe verschulden. Sie entwerten die
Weiblichkeit. Sie sind wie die niedrigen
Konkurrenzgeschäfte, die durch Schleuder-
preise den anständigen Handel verderben.
Das Nachbeten und Anräuchem, woran sie
den Mann gewöhnen, fordert er dann vom
ganzen Geschlechte als sein Recht.
Es gibt für einen geistig hervorragenden
Mann — sei er Künstler, Gelehrter oder was
auch immer — keine gefährlichere Klippe als
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weibliche Bewunderung. Wenn sich eine An-
zahl alleinstehender Damen, besonders Wit-
wen, um ihn festsetzt, die ihn als Orakel
verehren, so muß er sich selber scharf in
Obhut nehmen, sonst machen sie ihn erst
eitel, dann unduldsam gegen andere Meinung
und schließlich gegen alles, was nicht von
ihm selber ausgeht, voreingenommen.
Der männliche Geist neigt ohnehin viel
leichter zum Erstarren; tritt noch die Selbst-
gefälligkeit hinzu, so wird ihm jeder eigene
Gedankenfund zum Unumstößlichen, Abso-
luten, und ein Mensch, der zu fortschreiten-
der Entwicklung berufen war, trägt sich am
Ende mit lauter fertigen Begriffen, die nichts
sind, als die Totenstarre seines Geistes.
Umgekehrt können geistvolle Frauen
durch männliche Huldigungen nie so ver-
derbt werden. Ihre größere Beweglichkeit
läßt kein Erstarren zu, ihr Geist wird im
Gegenteil immer flüssiger und feuriger, wenn
er auf andere Geister wirken kann, und —
„die Arge liebt das Neue.“ Besseres Zeugnis
ist ihr nie aus Männermunde gegeben worden.
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DIE DRITTE. Hier sei eine Warnungs-
tafel für Liebende aufgestellt. Ich male dar-
auf das Bild der Dritten.
Sie wird in jedem Jahrgang geboren und
kann jedes beliebige Äußere haben, aber am
liebsten denke ich sie mir in ihrer völlig
typischen Gestalt. Da ist sie lang und schlank,
farblos und geschmeidig, mit langen Armen,
die wie zum Umschlingen, mit Händen, die
zum Greifen gemacht sind. Ihre Füße
huschen, man hört nicht, wo sie geht. Schön
ist sie niemals. Sie hat niemals einen eigenen
Gedanken, ihr Geist ist eine ganz weiche
Masse, die sich bequem in jede Form gießen
läßt. In weiblichen Augen ist sie ein reines
Nichts, durch das kein blühendes, gesundes
Weib sich in seinen Rechten bedroht fühlt.
Darum wird sie gerne von den Ehefrauen
protegiert, besonders von den eifersüchtigen,
die kein glänzendes Mädchen um sich dulden
würden. Ihr Ruf ist der beste und schwer
zu erschüttern. „Die Arme,“ heißt es, „sie
hat ja gar keine Reize.“ Sie schleicht sich
in einen Haushalt ein, erweist sich der Frau
hilfreich, dem Manne unentbehrlich. Immer
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ist es die Frau, die ihr die Tür geöffnet hat.
Aber sie ist ein gefährliches Nichts. Ihr
ganzes Innere ist eine große Leere, die auf-
gähnt nach dem Mann, sie will ihn an sich,
in sich reißen, ihre Arme begehren ihn zu
umstricken, ihr Geist begehrt sich mit seinem
Geist, ihre Seele sich mit seiner Seele zu
füllen. Sie ist das Raubtier unter den Wei-
bern. Ihre Beute werden nur die schon ge-
bundenen Männer, den Junggesellen ist sie
nicht gefährlich, sie ist als Dritte geboren;
kein Mann würde sich mit Absicht an sie
verschenken. Aber der Ehemann glaubt
keinen Grund zur Vorsicht zu haben; ihm
tut es wohl, ein Weib, das er für gänzlich
uninteressiert halten muß, um seine Person
beschäftigt zu sehen. Sie drängt sich leise,
unmerklich an ihn heran, sie lauscht ihm
seine kleinen Eigenheiten ab, denen sie zu
schmeicheln versteht, sie merkt auf seine
Gewohnheiten und ist vor allem beflissen,
ihm immer Recht zu geben. Hat er irgend
einen besonderen Hang, auf den die Frau
nicht einzugehen vermag, die Dritte spürt
ihn auf, zieht ihn durch ihr Entgegenkommen
groß. Spricht der Mann, so ist sie ganz
Ohr, sie saugt Nahrung aus seinem Geiste,
und ihm ist dabei so behaglich, wie einer
Mutter, die die Milchströme in ihrem Busen
rinnen fühlt.
Zuerst ist die Zufriedenheit der Ehe-
gatten durch sie gesteigert, sie haben einen
Ableiter für die Stunden, wo sie glücksüber-
sättigt zur Verstimmung neigen, sie ahnen
keine Gefahr. Aber ihre einsamen Spazier-
gänge werden seltener, der Mann merkt, daß
ihm etwas fehlt, wenn die Dritte nicht zu-
gegen ist, er fühlt das Bedürfnis, von Dingen
zu reden, die zwischen ihr und ihm angeregt
sind und woran die Frau schon keinen Teil
mehr hat. Sind erst diese heimlichen Fäden
zwischen ihnen gezettelt, so hat die Frau,
wenn sie eine reine, edle Natur ist, schon
verloren, und es liegt nur an der Dritten, wie
lange sie das Zusammenleben der Gatten
noch dulden will. Nur wenn die Frau selber
vom Raubtiergeschlecht ist, wenn sie sich
auf das Ducken und Schmiegen, auf das
Leisetreten und Huschen und Starkanpacken
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SS
versteht, so kann sie sich der Dritten noch
erwehren.
Der Mann, der einem solchen Weibe
verfällt, ist rettungslos verloren. Sie saugt
seinen Geist, er bleibt ihr aber nicht; wie
allzu gierige Säuglinge verschüttet sie die
Nahrung und bleibt immer leer; sie zieht
den Mann mit hinab in ihre gähnende Leere.
Bald erträgt er keine Gesellschaft mehr, als
nur die ihre. Der Widerspruch, dessen sie
ihn entwöhnt hat, dünkt ihm eine Beleidi-
gung, je kleiner er wird, um desto größer sieht
er sich. Er ist unglücklich, weil die Welt
ihn nicht ebenso groß sehen will, er ver-
bittert und fühlt sich nur noch wohl neben
seiner Vergifterin, die nun die Dosis immer
mehr verstärken muß, bis sie ihn durch ihre
Schmeichelei ganz verdummt hat und ihn
jetzt selber nicht mehr ertragen kann. Ihr
zehrendes Verlangen hat sie unterdes ge-
stillt und kann sich nun anderswohin wen-
den; sie läßt ihn dann ganz hohl und aus-
geleert zurück. Manchmal bleibt sie auch
bei ihm, aus äußeren Gründen, dann be-
handelt sie ihn schlecht und rächt sich für
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die Schmeichelei, die sie an ihn ver-
schwendet hat.
So deutlich ich sie hier gemalt habe,
kein Mann wird die Dritte erkennen, wenn
er ihr begegnet, nur Frauenaugen sind scharf
genug, sie zu durchschauen.
BOA CONSTRICTOR. Im Deutschen
ist die Schlange weiblichen Geschlechts, und
man hat ihre Prädikate so oft auf die Evas-
tochter übertragen, daß man sich die alte
Feindin des Menschengeschlechtes immer
in Weibsgestalt denkt. Eine Schlangenart
aber gibt es, die in allen Sprachen männlich
ist: der Boa Constrictor. So sei einmal zur
Abwechslung dieser vorgeführt.
Er ist iihmer ein Mann von glänzenden
Gaben, der aus Mangel an irgend einer wich-
tigen Qualität darauf verzichten muß, sich
im Leben hervorzutun und unter Männern
etwas zu gelten. Darum wirft er seinen Ehr-
geiz und seine Herrschsucht auf das weib-
liche Geschlecht. Seine Opfer werden vor-
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zugsweise die geistvollen Frauen; den
Dutzend weibern ist er viel weniger gefähr-
lich, er stellt ihnen auch nicht nach, denn
er sucht nicht, was sonst der Mann beim
Weibe sucht. Er sucht nur das Geistige in
ihr, das Seelische, das innerste, weibliche
Selbst, für das der normale Mann zu grobe
Finger hat. Durch das Mitteilungsbedürfnis
bemächtigt er sich ihrer Seele, wie es der
katholische Priester tut, und wie dieser wird
er ihr unumschränkter Herr und Gebieter.
Die femme incomprise ist gar nicht die
lächerliche Figur, als die sie in der älteren
Literatur hingestellt wurde. Sie existiert über-
all, wo ein begabtes oder auch nur eigen-
tümliches Weib existiert, denn auch die
Männer, die uns am stärksten lieben, denken
nicht daran, unser tiefstes Sein belauschen
zu wollen, dazu sind sie viel zu sehr mit
sich selbst, mit ihrer Leidenschaft beschäftigt.
Oft sind es gerade die gefeiertsten, die an-
gebetetsten Frauen, die völlig ausgehungert
sind nach ein wenig Verstandensein. Wenn
einer solchen der Boa Constrictor begegnet,
so hat er mit seinen spürenden Sinnen gleich
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ihre individuellsten Bedürfnisse herausge-
tastet, er fühlt ihre feinsten Nervenschwingun-
gen mit, denn von da aus wird er sie packen,
zusammenschnüren, erwürgen. Sein Opfer
verehrt in ihm den Weisesten und sittlich
Höchsten aller Männer, weil er nicht auf
das Weib, sondern auf das Individuum in
ihr lauert. Den Mißton, der der ersten be-
geisterten Annäherung folgt, schreibt sie ihrer
eigenen Unvollkommenheit zu, sie strebt,
sich zu veredeln, um ihm näher zu sein,
und nun spielt er nach Laune auf ihrer
Seele. Je höher ihr Ernst, desto wilder sein
Spiel; er verwandelt sich unablässig unter
ihren Händen und ergötzt sich an ihrer
Seelenqual, bis all ihre Saiten reißen. Denn
er ist der geborene Frauenhasser: er rächt
an ihr seinen Unmut darüber, daß es nur
ein Weib ist, das er beherrschen kann.
Den Männern geht er instinktiv aus dem
Wege, desgleichen solchen Frauen, von
denen er sich durchschaut fühlt. Seine Ge-
sellschaft wird auch allen denen, die nicht
unter seinem Zauber stehen, in Bälde un-
erträglich, denn er kann über keinen Gegen-
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stand sachlich reden. Überall scheint die
persönliche Absicht durch, alles wird dehn-
bar, schillernd in seinem Munde. Nur seine
verblendeten Opfer hängen bis zum letzten
Augenblick an ihm fest, weil er fort und
fort die Illusion zerstört und wieder erneuert,
als ob das Ich bei ihm seine trauteste Heim-
stätte finden könnte.
Besonderes Merkmal: er ist niemals ein
Don Juan, bei seinen Eroberungen will er
nur das Machtgefühl auskosten, die Sinne
sprechen nicht in ihm. Am ehesten hat er
seinesgleichen unter den Jesuiten, den feinen,
hochgebildeten, die, um zu herrschen, den
Umweg über das weibliche Herz nehmen.
Aber die Jesuiten dienen dabei einem höheren
Zweck. Sein Zweck ist ein Widersinn :
Herrschen und das Beherrschte zerstören.
Gesteigertes Lebensgefühl in einer Fa-
milie, das bei den männlichen Gliedern oft
zum Wechselmord und zu Verbrechen aller
Art geführt hat, bringt die herrlichsten
Frauentypen hervor. Das sieht man an vielen
5i 4*
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Frauen der Geschichte, besonders an denen
der italienischen, Renaissance und der griechi-
schen Mythe, die eine vergeistigte Geschichte
ist; am schönsten stellt es sich in Goethes
„Iphigenie“ dar.
Wenn das Weib durch starke Rasse-
anlagen über den seelischen Indifferenzpunkt,
auf dem es gewöhnlich steht, hinaufgehoben
wird, so können die positiven Elemente vor-
walten, und es kann ein Bild vollkommenster
Menschlichkeit entstehen. Dieselben Anlagen
treiben den Mann, bei dem ohnehin die Hem-
mungen schwächer sind, auf eine Spitze,
wo er sich überschlägt und ins Ungeheure
stürzt.
Jede begabte Frau sollte ihrem Ge-
schlecht eine Wohltat hinterlassen, wie Für-
sten an armen Orten, wo sie verweilt haben.
Der Mann hat durch Zuchtwahl Jahr-
hunderte lang die Eigenschaften, die seinem
Herrscher- und Besitzerinstinkt bequem
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waren, an der Frau groß gezogen, er hat
sie so lange an ihr gepriesen und besungen,
bis die Frau in sein Ideal hineinwuchs. Er
hat moralische Hypertrophien gezüchtet und
sich dabei verrechnet, denn Prüderie zum
Beispiel und Tugend sind grundverschiedene
Dinge.
Man hatte sie so gewöhnt, sich dem
vom Manne geprägten Typus anzupassen,
daß sie gar nicht mehr wagte, ihrem In-
stinkte zu folgen, oder ihr Instinkt lag selber
im Bann der Suggestion. Da ist es denn so
weit gekommen, daß die meisten Frauen
heutzutage nicht nur nicht wissen, wie sie
über eine Sache zu denken haben, sondern
nicht einmal, wie sie fühlen sollen, bevor
ihre Männer ihnen die Richtung geben. Man
zeige ihnen die Erwartung, daß sie sich
choquiert fühlen, und sofort fließen sie vor
Entrüstung über, wo sie eben noch bereit
waren, Beifall zu klatschen.
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Gibt es etwas Dümmeres, als das Protzen
auf sein Geschlecht? Kann sich ein geist-
reicher Mann auf eine Eigenschaft etwas
einbilden, die er mit unzähligen Nullen ge-
mein hat?
**
Die Juden hatten von alters her in ihrem
täglichen Gebet den Spruch: „Herr Gott,
ich danke dir, daß du mich als Mann ge-
boren werden ließest.“ Seit aber der moderne
Geist auch in den Mosaismus eingedrungen
ist, glaubte man dem weiblichen Geschlecht
einen Ausgleich schuldig zu sein, und die
rechtgläubige Jüdin betet allmorgendlich an
derselben Stelle: „Herr Gott, ich danke dir,
daß du mich als das, was ich bin, geboren
werden ließest“ — soll heißen : nicht als
Mann. So ist der Judengott jetzt in der
glücklichen Lage, es allen Teilen recht ge-
macht zu haben.
n
Gottfried Keller, den wir so gern als
den Unsrigen ansprechen, zeigt sich der Frau
gegenüber nicht als Deutscher. Seine Weiber
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sind viel kräftiger, vollsaftiger, herrschender,
als die der deutschen Dichter. Hätte ein
deutscher Dichter eingestanden, daß der
wichtigste geistige Prozeß, der sich in ihm
vollzog, der Bruch mit dem religiösen Her-
kommen, durch ein junges Mädchen angeregt
wurde, das nicht an Unsterblichkeit glauben
konnte ?
Gleichklang gibt keine Harmonie. Es
kann in der großen Symphonie der Zukunft
nicht Aufgabe des Weibes sein, dieselbe
Stimme zu singen, wie der Mann. Nur dann
kann sie die Kultur fördern helfen, wenn
sie es wagt, einmal hell und klingend ihre
eigene Stimme hören zu lassen, von der man
erst vereinzelte Töne vernommen hat. Ja,
wären nicht die großen Dichter, die immer
ein doppeltes Geschlecht haben, so hätte
kaum je ein Laut die dichte Atmosphäre,
in der die Seele des Weibes lebt, durch-
drungen. Denn wie die Frau vom öffent-
lichen Leben ausgeschlossen war, so durfte
sie auch am häuslichen Herde nicht sie selber
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Digitized by Google
sein : sie mußte sich vor dem Manne scheuen,
der ihre Seele ein für alle Mal in bestimmte,
von ihm geschaffene Formen gegossen sehen
wollte, und noch zehnmal mehr vor ihrem
eigenen Geschlecht, das sich in seiner Masse
so gern zum Polizeidiener der Konvention
hergibt. Jene Großen haben es der Welt
verraten, wie der Seher Tiresias, was in den
Stunden, da sie Weib waren, mit ihnen vor-
gegangen ist. Aber auch sie konnten nur
unser Fühlen ahnend verdolmetschen,
unser geistiges Ich, wer hat es je vertreten?
Und wir selber, vertrauen wir ihm zur Stunde
schon genug, um damit nicht bessere, aber
andere Dinge aus der Natur herauszuholen
als der Mann?
Was ist es nun, wodurch wir uns im
Durchschnitt vom Manne zu unseren Gun-
sten unterscheiden ? „Der Instinkt,“ so pflegte
er bisher mit mißverstandener Herablassung
zu sagen, wie man etwa dem Tiere die Über-
legenheit des Instinktes zugesteht. Aber wir
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dürfen uns das Kompliment gefallen lassen.
Es ist eine hohe Sache um den menschlichen
Instinkt. Was sich dahinter birgt, ist eine
starke psychologische Anlage, die, wo sie
ihrer selber nicht bewußt wird, triebartig
wirkt. Diese Gabe, nur auf persönliche Dinge
angewandt, hat freilich unser Geschlecht in
den verdienten Ruf der kleinlichen Berech-
nung .und Ränkespinnerei gebracht; in
höherem Sinne und in weiterer Sphäre wir-
kend, würde sie zur Wohltat für die Mensch-
heit. Denn Psychologie ist es, was dem ver-
worrenen Weltgetriebe vor allem not tut,
sie müßte die Begleiterin des abstrakten
Rechtssinns werden, sie müßte mit ihrer
Fackel in alles Erziehungswesen leuchten,
sie müßte überall, wo Menschen Zusammen-
wirken, der strengen Sachlichkeit die Auf-
sicht führen helfen.
Nicht, als ob nun alle Frauen eine psy-
chologische Anlage hätten und als ob allen
Männern diese Eigenschaft mangelte. Es
gibt Männer, die sie im allerhöchsten Grade
besitzen — sonst gäbe es ja keine Dichter.
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Allein die Dichter sind auch niemals die
Repräsentanten einer ausgeprägten, einseiti-
gen Männlichkeit. Es gibt hervorragende
Frauen, denen sie gänzlich fehlt, aber eben
an ihnen kann man die Probe auf den Satz
machen, denn es pflegen diejenigen Frauen
zu sein, die überhaupt in ihrer Handlungs-,
ihrer Denk- und Sprechweise etwas Ab-
straktes, Prinzipielles haben und sich damit
dem Wesen des Mannes annähern. Den Sinn
für die heimlichsten Ursprünge des mensch-
lichen Handelns wird man jedenfalls für ein
Merkmal der weiblichen Natur gelten lassen
müssen.
Dann wird die Frau frei und geachtet
sein, wenn man von der bedeutenden Lei-
stung eines Weibes nicht mehr sagen wird,
daß es eine männliche Leistung sei. Wie,
zum Lohn dafür, daß sie euch entzückt und
gehoben oder gefördert hat, wollt ihr sie
ihres Geschlechtes berauben und erklärt sie
für ein Versehen der Natur? Es kann nichts
Gedankenloseres geben. Die wahrhaft origi-
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nelle Leistung eines Weibes wird auch alle-
mal eine weibliche Leistung sein.
Wenn das taktlose Kompliment aus
Männermunde kommt, so ist es nur als wohl-
gemeinte Unschicklichkeit anzusehen, daß
aber der Chor der Frauen es nachbetet, statt
die Persönlichkeit, an die es gerichtet ist,
nach ihren innersten Merkmalen für sich zu
fordern, ist eine Selbstentwürdigung, es
heißt mit anderen Worten: Was kann aus
unserem Armenviertel Gutes kommen!
9 *
So lange die Frau wie ein Mond den
Mann umkreist, daß nur die eine ihm zuge-
wendete Seite beleuchtet ist, während nach
der anderen unbekannten niemand fragt, so
lange ist es unmöglich, sich über die Fähig-
keiten der weiblichen Natur überhaupt ein
Urteil zu bilden. Man hat bisher das künst-
liche Durchschnittsprodukt der Töchterschule
als natürlichen Normaltypus, höher geartete
Frauen aber als Ausnahmen, gewissermaßen
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SS
BgafiBSBCI
als geistige Mißgeburten hingestellt und ist
so zu einem ganz falschen Bild des Weibes
gekommen. Gerade wie wenn man aus dem
Mittel der durch Schuhwerk verkrüppelten
Europäerfüße die Norm des menschlichen
Fußes ableiten wollte.
Was die Frau im Durchschnitt als Ge-
sellschaftswesen wert ist, darüber kann man
erst reden, wenn sie sich einmal ungehindert
mehrere Generationen hindurch nach ihren
inneren Gesetzen entwickelt hat — wenn sie
endlich als ein Gestirn erscheint, das sich
um seine eigene Axe dreht und sein Licht
von der gemeinsamen Sonne empfängt.
Wenn die ungeheuren Anforderungen
der modernen Zivilisation den Mann immer
mehr zum Fachmenschen plattdrücken und
ihm die Zeit zur humanistischen Ausrundung
beschränken, so muß es Sache der Frau
werden, der Menschheit ihre höchsten Erb-
güter zu bewahren. Nach diesem Ziele hat
die unaufhaltsam gewordene Frauenbewe-
gung, die zunächst nur praktische Zwecke
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verfolgt, allmählich umzulenken. Denn wenn
es sich bei all dem Kraftaufwand immer nur
um die Förderung und ökonomische Siche-
rung einzelstehender weiblicher Wesen, also
um den Ausnahmefall handeln sollte, so
wäre der Preis zu klein für so viel Mühe.
Ein viel höheres Ziel muß gesetzt, ein all-
gemeinerer und noch viel zwingenderer Not-
stand muß gehoben werden: wir brauchen
eine stärkere, adligere Mutter für die künfti-
gen Geschlechter, als die Durchschnittsfrau
von heute.
Bisher hießen die höchsten Tugenden
der deutschen Frau : Unterwerfung und Ent-
sagung. Die deutsche Nation in ihrer langen
wirtschaftlichen Misere brauchte jenen Typus
des weiblichen Lasttieres (der nun schon
der Vergangenheit anzugehören beginnt), und
deshalb züchtete sie ihn, indem sie ihn mit
unbewußter Absicht zum Ideal erhob. Kein
anderes modernes Kulturvolk hat ein so nie-
driges, nur auf Unterdrückung der Persön-
lichkeit beruhendes Frauenideal geschaffen
wie das deutsche. Man denke nur an Shake-
speares Frauencharaktere oder an die weib-
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liehen Lieblingsgestalten der italienischen
Renaissance. Aber auch der Deutsche kannte
dieses Ideal der negativen Frauentugenden
erst, seitdem er es brauchte. Die deutsche
Edeldame des Mittelalters war sogar gebil-
deter als der Edelmann, und man fand dies
nicht unweiblich, sondern ganz natürlich :
sie hatte ja mehr Zeit zum Lesen und zum
Verkehr mit den wandernden Sängern, als
ihr beständig in Raufhändel verwickelter Ehe-
herr. Erst die tiefe, dauernde Verarmung
der Nation nach dem dreißigjährigen Kriege
mit dem Niedergang alles dessen, was das
Leben schmückt, erzeugte jenen Frauen-
typus, dessen höchstes Streben auf Selbst-
entäußerung gerichtet war. Sonst pflegen in
Zeiten vaterländischer Not die Frauen ihr
Geschmeide darzubringen. Die deutsche Frau
hat viel, viel mehr geopfert: die Grazie, die
Eleganz, die Bildung, die gesellschaftlichen
Reize und Talente und noch anderes mehr,
das sonst allerwärts der Frauen Erbteil ist.
So wurde sie die ungraziöse, pedantische,
kleinliche, aber nützliche deutsche Haus-
frau, deren Mangel an Form sich beim Sohn
62
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HS
aufs Geistige übertrug, so daß Formlosigkeit
vom deutschen Geiste unzertrennlich ge-
worden schien. Noch mehr, sie opferte so-
gar ihr Geschlecht: in den Familien, wo
die Mittel nur zur Ausstattung der Söhne
reichten, da wurde sie, ohne zu rebellieren,
die einsame, lächerlich gemachte, von aller
Welt herumgestoßene „alte Jungfer“. Man
könnte sagen: Mit dem gemeinsamen Spar-
pfennig der „guten Hausfrau“ und der „alten
Jungfer“ ist der große deutsche Gelehrten-
typus erzogen worden. Freilich hat dieses
Opfer der Frauen Deutschland in seiner
schlimmsten Zeit über Wasser gehalten und
ihm seinen geistigen Rang unter den Na-
tionen bewahrt. Die Tränen aber und die
Schweißtropfen, die darum vergossen wur-
den, hat niemand gezählt. Niemand fragt,
wie viel blühende, gesunde Gestalten, ver-
kümmert und zur Unfruchtbarkeit verdammt,
in den Winkel geworfen wurden, um Stuben-
hocker groß zu ziehen, aus denen dann in
tausend Fällen einmal eine Leuchte der
Wissenschaft hervorging.
Heute steht es anders. Die negativen
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Frauentugenden sind auch in Deutschland
überflüssig geworden, seitdem die Nation
sich regen kann. Die deutsche Frau möge
nun den abgelegten Schmuck wieder hervor-
suchen, um würdig unter ihren Schwestern
zu erscheinen. Aber sie hat noch mehr zu
tun als das. Wenn der männliche Geist,
dank der Spezialisierung aller Wissenschaft,
einmal der Doppelaufgabe nicht mehr ge-
wachsen sein wird, die neuen wissenschaft-
lichen Ernten einzuheimsen und die vollen
Scheunen des Altertums zu bewahren, dann
muß die gebildete Frau an seine Seite treten
und die Lücke füllen. Früher schuf er die
geistige Atmosphäre, und die Frau hatte im
günstigsten Falle als Genießende daran Teil.
Es dürfte eine Zeit kommen, wo er ihr ge-
rade auf diesem Punkt als der Empfangende
gegenüberstehen wird. Er nehme ihr nur den
Kampf ums Dasein, der ihr auf die Länge
doch zu hart sein dürfte, wieder ab, dafür
wird sie ihm Hüterin der geistigen Schätze
werden, wie sie es bisher nur der materiellen
war. Zweifelt nicht, daß sie sich trefflich
zu diesem Amte eignen wird. Ihr Geist ist
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noch jugendlich, unverbraucht, nicht durch
tausendjährigen Drill verdorben, ja und ich
wage mir einzubilden, daß er bei seiner
größeren Beweglichkeit überhaupt nicht so
leicht zu verderben ist. Jedenfalls wird er
auf lange Zeit im stände sein, sich selbst
gegen ein verkehrtes Schulsystem zu halten,
bis dann endlich unter seiner Mitwirkung
auch dieses verkehrte System gebrochen
wird.
Kein Zweifel, die Herkulesarbeiten der
Zukunft werden wie die der Vergangenheit
vom männlichen Geschlecht verrichtet wer-
den. Der Frau liegt es ob, den würdigen
Kulturhintergrund für die Taten der künftigen
Heroen zu schaffen, damit die Menschheit
nicht trotz ihrer Gottähnlichkeit in die Bar-
barei zurückfalle. Etwas ähnliches fühlen
schon die Amerikaner von heute, die es
richtig finden, daß ihre Frauen sich eine
feinere Bildung aneignen, als ihnen selbst
die Geschäfte gestatten. Nur daß diese Bil-
dung, weil sie aus literarischen Modeerzeug-
nissen besteht, der Nation auch bloß äußer-
lich zu gute kommt. Die tief sprudelnden
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Quellen einer klassisch-humanistischen Bil-
dung allein haben die innere, lebenwirkende
Kraft. Diese Bildung muß vom häuslichen
Herde ausgehen, denn bei Bilderbuch, Lied
und Märchen liegt der Anfang aller Kultur.
Götter und Heroen sind zu Spielkameraden
der Kindheit eben gut genug. Dann mag man
immerhin dem Jüngling die Zeit für die klassi-
schen Studien beschränken, die Mutter hat
ihm den Weg nach Rom und Hellas ab-
gekürzt, und sollte ihm je im Dienste exakter
Wissenschaften ein Teil der ererbten Schätze
abhanden kommen, so muß er sie später an
seinem eigenen Herde wiederfinden.
Vielleicht wird Männerstolz und -Vor-
eingenommenheit ungern eine so große
Macht in die Hände der Frauen übergehen
sehen. Die einen werden fürchten, daß die
Frau Herrschaftsgelüste bekomme, die an-
deren, daß die häusliche Bequemlichkeit dar-
unter leide. Unbesorgt, ihr Kleingläubigen.
Der Geist ist überall ein gar brauchbares
Ding und selbst für die kleinste häusliche
Verrichtung gut. Und was das andere be-
trifft — so lange es Männer gibt, war es ihr
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Los, von Frauen unterjocht zu sein. Schon
die Sprache plaudert dieses Geheimnis aus.
Die niedrigste Maitresse ist eine „Gebieterin“.
Ist es nicht besser, eine kluge Freundin, als
eine stumpfsinnige Gebieterin zu haben?
Freilich, es hat noch gute Wege, bevor
die Frau diese Höhe ersteigt. Was sich heute
unter dem Titel des „modernen Weibes“
spreizt, jene seltsame Mischung von Prä-
tension und Unzulänglichkeit, die auf wirk-
liches Können noch nicht eingerichtet ist
und das Opferbringen verlernt hat, das ist
eine unreif gefaulte Frucht am Baum der
Zivilisation.
Geistreiche und schöpferische Frauen
haben in unseren Tagen mit Bewußtsein un-
bedeutende Männer geheiratet, bloß weil diese
jung und hübsch waren, und haben sich
mit der Befriedigung der Sinne befriedigt
erklärt. „Mein Mann braucht keinen Geist
zu haben, wenn er mir nur gefällt,“ denken
sie mit überlegenem Lächeln, wenn sie auch
noch nicht so weit gehen, es auszusprechen.
67 5 *
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SMggaggas
Die Natur bäumt sich auf, aber das Experi-
ment, einmal gemacht, findet Nachahmung.
— Und hat nicht auch die Natur sich auf-
gebäumt, als zum ersten Mal der Mann seine
Genossin zum Haustier erklärte?
NIETZSCHE UND DIE FRAUEN.
Nietzsches Werk ist im Grunde selbst ein
„Sklavenaufstand“. Die Werte, die er um-
werten will, kleben noch an ihm fest, er ringt
mit ihnen, bald wird er Meister über sie,
bald sie über ihn. Ist es nicht ein ganz breites
Stück Philisterium, wenn er, wie in der Bio-
graphie seiner Schwester zu lesen steht, dem
kleinen Mädchen den Homer, für den er
selbst begeistert ist, als unpassend verweist?
Mädchen sollen keinen Teil am Größten,
Wahrsten, Einfachsten haben, das den Men-
schen auf den Boden der Natur zurückver-
setzt ! Und warum ? Er sagt es uns nicht. Für
Mädchen paßt die biblische Geschichte, sagt
er, gerade wie der Herr Pfarrer oder der
Herr Schulmeister sagen würde. — Und eben
weil er noch die Spuren der alten Ketten an
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sich trägt, deshalb laufen ihm die Freige-
lassenen aller Länder in Scharen zu. Die
Freigeborenen haben nichts bei seiner
Fahne zu suchen.
Daß er mit dem Hergebrachten nicht
fertig geworden ist, beweist er durch seine
Stellung zum Weibe, der Amme und Er-
zieherin des Menschengeschlechts, die alle
Saat der Zukunft sät. In seinem Haß gegen
den „Feminismus“ vergißt er ganz, daß es
die kräftigsten, jugendlichsten Rassen sind
und waren, die der Frau die überlegenste
Stellung eingeräumt haben: im Altertum die
Dorer und unsere germanischen Vorfahren,
in unserer Zeit die Amerikaner, denen man
doch Männlichkeit nicht absprechen wird.
Wogegen der weichliche und weibische
Orient die tiefste Unterdrückung des Weibes
erfand.
Nietzsche ruft Wehe über das Weib,
das sich vor dem Manne nicht mehr fürchtet.
Aber wo sind denn die Männer, vor denen
das Weib sich heutzutage „fürchten“ kann?
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tgSSW
Das männliche Ideal ist dem Weibe zerstört,
seitdem das Zeitalter nur Spezialisten auf
jedem Gebiet heranzieht. Sein Dämonisches
ist von dem Manne gewichen, und damit hat
alles „Fürchten“ ein Ende. Keine Unab-
hängigkeit des Weibes kann dem Manne den
Zauber nehmen, den er auf sie ausübt, wenn
er sich nicht selber sein begibt. Laßt nur
einmal ein neues, starkes Geschlecht von
männlichen Männern kommen, und alle Aus-
artungen der Frauenbewegung werden in sich
zusammensinken, wie ein Luftkissen, dem
sein Inhalt entströmt. Das Fürchten aber
wird ein gegenseitiges sein, wenn die beiden
sich in Zukunft finden und jedes vor dem
ihm unbekannten Dämon des andern er-
schrickt. Denn was kann dem Weibe Über-
raschenderes und Größeres begegnen, als
ein Mann, der diesen Namen verdient, was
kann dem Manne fremdartiger und be-
zaubernder kommen, als das starke, seiner
eigenen Natur bewußte Weib. Wo die zwei
sich begegnen, da werden sie sich so über-
mächtig anziehen und doch auch durch ihre
innere Verschiedenheit weit genug abstoßen,
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daß sie gezwungen sind, in Ewigkeit als
ein Doppelgestirn eins um das andere zu
schwingen. Oder sie werden mit solchem
Prall zusammenstoßen, daß beide Teile unter
einem Feuerregen in Stücke gehen. Aber am
meisten dabei gewinnen wird die Poesie,
die wieder einmal große Leidenschaften zu
besingen haben wird, wie in jenen Tagen
der Vergangenheit, wo Mann und Weib ein-
ander die Wage hielten.
Die italienische Renaissance, die mit ihrer
gewaltigen Bejahung der Persönlichkeit auch
dem Weibe die positiven Eigenschaften
abforderte, stellte neben ihre grandiosen
Männergestalten fort und fort ebenbürtige,
herrliche Frauen, die teils sichtbar, teils un-
sichtbar in das Ringen der Zeit eingriffen.
Niemand nannte diese Frauen unweiblich,
denn es war ja gerade die Entfaltung ihrer
weiblichen Natur, die sie berechtigte,
neben die Männer zu treten, wie siegver-
leihende Göttinnen neben ihre Heroen. Alle
Leidenschaften wurden aufs höchste ge-
spannt und entluden sich in unvergänglichen
Werken und in unvergeßlichen Verbrechen.
7i
N
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Aus der Annäherung der beiden Geschlechter
in dieser gespannten Atmosphäre erwuchs
eine Menschensaat, in der die großen Genien
wie Halme auf schossen. Kein Wunder, daß
ihre Zahl unendlich wurde, als sollte ein
neues Titanengeschlecht sich über die Erde
verbreiten, bis die anflutende Barbarei dem
Treiben und Sprossen ein Ende machte. So-
bald nun das stiller werdende Leben das
Weib auf seine negativen Eigenschaften
zurückverwies, und darum auch sie aufhörte,
dem Mann sein Äußerstes im Guten und
Bösen abzulocken, wurde neben dem allge-
meinen Rückgang der Nation auch der Ge-
nius wieder ein seltener Gast auf Erden. Und
von nun an sank mit dem sinkenden Kultur-
niveau des Landes auch das Frauenideal
der Italiener, und sank immer tiefer bis auf
ein fast orientalisches Niveau herab, das sich
erst in unseren Tagen, jetzt aber mit reißen-
der Schnelligkeit, wieder zu heben beginnt.
DIE FRAU IN DER KÜCHE. Alle Ge-
biete hat der Germane der Frau verschlossen,
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mit Ausnahme des einen, wohin sie nicht
paßt, der Küche. Zu allem möglichen hat
die Frau Geschick: zum Wundennähen, zum
Prozesseführen, die Geschichte sagt sogar:
zum Staatenregieren, nur zum Kochen hat
sie, in der Gesamtheit genommen, keins. Wie
schmackhaft ist der Tisch bei Franzosen und
Italienern bestellt, wo Männer die Küche
regieren. Auch bei den Griechen und Römern
war es so. Das Mahl als Kunstwerk wird nur
vom Manne begriffen. Der Mann ist ein
inspirierter, ein genialer Koch, Ehre, wem
Ehre gebührt, er dichtet mit dem Koch-
löffel. — Wer je das Vergnügen gehabt hat,
von einem kulinarisch gebildeten Jungge-
sellen zu einer Mahlzeit geladen zu werden,
die er selbst gekocht hat, der wird in meine
Bewunderung einstimmen. — Seine geistige
Helligkeit bleibt dem Manne am Herdfeuer
ungetrübt, und seine Mühe ist gleich Null:
er kann neben dem Kochen ein Bild malen
oder eine Wahlrede einstudieren. Das weib-
liche Geschlecht ist in der Küche niemals
produktiv gewesen, es kocht talentlos weiter
nach vererbten Rezepten, und das ist noch
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ein Glück, denn wenn es improvisieren will,
so pfuscht es meistens.
Aber was schlimmer ist: die Frau ver-
dummt am Herdfeuer. Diese Weisheit ist
nicht auf meinem Grund und Boden ge-
wachsen, ich verdanke sie einem alten See-
fahrer und Weltweisen, der mir viele Sommer
hindurch im Golf von Spezia die Küche
bestellt und manches tiefsinnige Wort dazu
geredet hat. Er war einer der klügsten Men-
schen und der besten Köche in einem Land,
wo alle Menschen klug und alle Köche gut
sind.
„Warum kochen denn bei euch die Män-
ner?“ fragte ich ihn eines Tages, da ich in
jenem Lande noch ein Neuling war.
Er sah mich an, wie wenn ich gefragt
hätte: „Warum ziehen denn bei euch die
Männer in den Krieg?“
Dann sagte er einfach: „Das Herdfeuer
ist zu heiß für die Frauen, es schadet ihrem
Kopf, es macht sie blöde und zänkisch.“
Da ging mir mit einem Male ein helles
Licht auf : das Herdfeuer ist’s, was die
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KJi
deutsche Frau heruntergebracht hat. Und um
sich für die widerfahrene Unbill zu rächen,
kocht sie so langweilig, daß jeder feinere
Appetit schon vom Ansehen der Schüsseln
vergeht.
DIE FRAU IM HAUSE. Die Frauen
sollten nicht klagen, daß ihre häusliche Be-
schäftigung zu niedrig sei, sie sollten Gott
danken, daß sie nicht, wie die Männer, in
Gefahr sind, von lauter Abstraktionen ver-
schlungen zu werden. Wie freudelos ist das
Tun des Beamten, der seine Bureaustunden
absitzt, des Kaufmanns, der Zahlen an Zahlen
reiht, gegen das ihre. Greift eine Hausfrau
nicht hinein ins volle, strotzende Leben,
wenn sie einen Sack mit Mehl öffnet? Ein
Zuckerhut, ein Krug öl, ein Korb voll Äpfel
oder Nüsse, sind das nicht natürliche Gegen-
stände, deren Berührung ein sinnlicher,
das heißt ein poetischer Genuß ist? Was
gibt es Erquicklicheres, als einen Ballen
schöner, starkkörniger Leinwand? Der Duft,
den sie ausströmt, ist den Nerven wohltuend,
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wie ein Bad, er erinnert noch an das wogende
Feld, wo die blaue Leinblume blühte. Im
Rohstoff ist noch die frische, sinnliche Wirk-
lichkeit, während sonst ringsum im Leben
alles schon verarbeitet und verbraucht ist.
Sind darum nicht auch die Frauen der Natur
näher geblieben und fähiger, ihr Lallen zu
verstehen? Nur das laute, aufdringliche Ge-
rassel müßte man der häuslichen Maschine
abgewöhnen, denn das allein ist es, was die
Frau im Hause erniedrigt.
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AUS DER
WELT DES
| HERZENS |
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Wir verlieren nicht, worauf wir freiwillig,
wenn auch mit Schmerz, verzichten. Nur,
was uns gewaltsam genommen wird, oder
was wir nie besessen haben, das verlieren
wir täglich aufs neue.
Freiwilliger Verzicht ist vielleicht die
schönste und dauerndste Form des Besitzes.
Es gibt keine Täuschungen des Herzens.
Was das Gefühl uns sagt, ist alles wahr,
wenn auch mitunter nur für einen Augenblick.
An der schnellen Bereitschaft zur Gegen-
liebe erkennt man die kleinen Naturen.
Ich liebe, was mich liebt, sagt der kleine
Mensch.
Ich nicht, ich liebe nur, was liebens-
wert ist, sagt der große.
Ich auch, entgegnet eifrig der kleine.
Aber was mich liebt, das ist doch liebens-
wert.
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Die Liebe wie die Kunst idealisiert ihren
Gegenstand, das heißt : sie erkennt sein
wahres Wesen, entkleidet von allen Zufällig-
keiten, und umfaßt auf einmal als ein
Ganzes, was sonst im Leben nur stückweise
und verschleiert zur Erscheinung kommt.
Menschen, die wir lieben und verehren, haben
für uns keine Jugend und kein Alter, sondern
nur ihr unwandelbares, in Klarheit gesehenes
Ich.
Ja, selbst auf die äußere Erscheinung
erstreckt sich diese Macht. Es kann Vor-
kommen, daß ein bedeutender Mensch, der
uns leiblich schon als Ruine entgegentritt
und dessen Jugendbildnis wir gar nicht ge-
kannt haben, plötzlich durch ein Wort, eine
Geste, ein Aufleuchten seines Genius die
schon vom Alter berührte Hülle abwirft
und in Jugendgestalt vor uns steht, wie die
olympischen Götter.
Eins der merkwürdigsten Hölderlinschen
Gedichte aus der Zeit seines Irrsinns schließt
ganz unerwartet mit den prosaischen, aber
seltsam ergreifenden Worten:
So muß übervorteilt,
Albern doch überall sein die Liebe.
Welche Wahrheit in diesem Satz. Der
Dichter, der auch im Wahnsinn ein Seher
blieb, hat damit der Liebe für alle Zeit ein
sicheres Kennzeichen angeheftet: wo sie
nicht albern ist und sich übervorteilen läßt,
da ist die Liebe auch keine Liebe.
Es gibt keine Form, unter der heutzutage
ein Mensch dauernd in den Besitz eines
anderen übergehen könnte, auch nicht die
eine, noch übrige Form der Leibeigenschaft,
die man Ehe nennt. Einzig die Liebe kann
das Ich verschenken, aber auch ihre Schen-
kung muß Tag für Tag wiederholt werden,
damit sie gültig bleibt.
Wenn man in der Freundschaft eine
schwere Enttäuschung erlebt hat, so geht
noch eine Zeitlang das frühere Bild, das
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man von dem Freunde hatte, das wertge-
haltene, bewunderte, neben dem neuen, dem
fremd oder feindlich gewordenen her. Es
existieren dann zu unser eigenen Verwunde-
rung für uns zwei Menschen, zwei ganz ver-
schiedene, die denselben Namen tragen, bis
das Bild des ersten, das sich nicht mehr
auffrischen kann, blasser und blasser wird
und endlich ganz vor dem zweiten ver-
schwindet.
W
Jede echte Freundschaft ist eine grüne,
abgeschlossene, tief versteckte Laube, voll
von Vogelgesang und Gaisblattduft, in der nur
zwei Menschen Raum haben und die doch
die ganze Erde umschließt. Verlieren wir
den Freund, so verschwindet das zauberhafte
Laubversteck mit all seinen Heimlichkeiten
auf immer. Wir können vielleicht an einem
anderen Ort eine neue Laube mit neuen
Heimlichkeiten und Wundem bauen, aber
die des ersten werden wir niemals Wieder-
sehen, denn mit jeder Freundschaft stirbt
zugleich eine ganze Welt.
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Jedes Individuum ist wie ein Himmels-
körper in seine eigene Atmosphäre einge-
hüllt, der ein anderer, und wäre er der ge-
liebteste Mensch, sich hüten muß, allzu nahe
zu kommen, weil sonst unausbleiblich eine
Abstoßung mit Störungen und Katastrophen
aller Art entsteht. Aller Takt der Freund-
schaft und der Liebe gehe darauf aus, die
richtige Distanz innezuhalten, um die Atmo-
sphäre des andern nicht zu beunruhigen.
OPTIK DER LIEBE. Alle Liebe, Be-
wunderung, Verehrung steht unter optischem
Gesetz. Es bedarf einer Perspektive, nicht
tim die Täuschung zu erhalten, wie die Pessi-
misten meinen, sondern um richtig zu sehen.
Rückt man einander zu nahe auf den Leib,
/
so sieht keins mehr das Bild des andern,
es sieht nur noch Einzelheiten, die stören
und erdrücken.
Zuweilen bezaubern uns Menschen durch
Eigentümlichkeiten, die nur auf eine ganz
bestimmte Entfernung wirksam sind. Wir
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treten um einen Schritt näher, und der Glanz
läßt nach, wir fahren weit zurück, und nun
sehen wir ihn gar nicht mehr. In solchen
Fällen klagen wir über Täuschung. Ver-
suchen wir doch lieber, auf den alten Stand-
punkt zurückzutreten und uns von neuem an
dem Farbenspiel zu ergötzen, statt wie Kin-
der fassen zu wollen, was gar nicht greif-
bar ist.
Je mehr die Menschheit sich entwickelt,
desto weniger wird man es für möglich
halten, daß zwei Personen, die an Geschlecht,
an Abstammung und Jahren, an Anlagen
und Erfahrungen verschieden sind, in eine
Person verschmelzen können. Vieles Elend
wird aufhören, wenn man einmal in der
Ehe suchen wird, sich nicht mit, sondern
neben einander einzurichten. Dazu bedarf
es aber einer höheren Sittlichkeit, als der
heutige Mensch mit seiner brutalen Aneig-
nungslust erschwingen kann.
«
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Nichts Roheres, als wenn der Liebende
das geliebte Wesen ein für alle Mal seinem
Besitzstand einverleibt und, um sicher zu
schlafen, die Moral zur Hüterin seines
Eigentums erklärt. Die Dauer der Liebe hat
mit dem Willen nichts zu tun, folglich kann
er auch nicht für sie Bürge sein, und noch
weniger kann irgend eine äußere Macht den
Kontrakt der beiden Herzen unterschreiben.
SS
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SS
Jedes Kind ist wieder der erste Mensch
und lebt allein auf einer noch unbewohnten
Erde. Darum bringt der Übergang in den
Erwachsenen oft schmerzliches Leiden. Es
kann für ein heranwachsendes Kind eine ge-
radezu fürchterliche Aufgabe sein, mit einem
elterlichen Auftrag in ein fremdes Haus zu
gehen. Die Menschenscheu der Übergangs-
zeit ist eine langwierige Krankheit, bis aus
dem in sich selbst geschlossenen Ich des
Kindes der Gesellschaftsmensch, die Num-
mer wird.
Denn das Kind ist ganz Individuum. Erst
durch das Geschlecht gehört der Mensch zur
Gattung.
Auch das Gesicht drückt diese Verände-
rung aus, am meisten bei den Mädchen. Die
Geschlechtsreife bringt eine Annäherung an
das Allgemeine, an einen ästhetischen Ideal-
typus hervor. Später, wenn der Reiz schwin-
det, tritt oft das individuelle Kindergesicht
wieder heraus.
W
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iS
Die erste Krisis beim Kinde ist, wenn
es „Ich“ sagt, die zweite, wenn es „Sie“
sagt. Es ist wie das zweimalige Zahnen,
mit dem es ja auch zeitlich zusammenfällt.
)
Wie anschaulich sich im Kinde die An-
fänge der Menschheit wiederholen! Wenn
das Kind seine künstliche Puppe in Stücke
schlägt, um den Mechanismus in ihrem
Inneren zu sehen, so ist das nur die erste
Regung jener Neugier, aus der beim Er-
wachsenen die wissenschaftliche Forschung
fließt. Wenn es sich mit seligem Gesicht
in sein umgekehrtes Stühlchen setzt, das ihm
einen Wagen vorstellt, und einen Schemel
vorspannt, der das Pferd bedeutet, so ist
damit der Anfang der Kunst gegeben, die in
dem angeborenen Spieltrieb der Menschheit
ihren Ursprung hat.
¥9
Das Kind ist glücklicher mit einem
solchen selbstgeschaffenen Wägelchen, als
mit den künstlichsten Spielsachen, die ihm
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der Verstand der Erwachsenen fertigen kann,
denn eben dieses Schaffen, dieses Um-
dichten, das ist sein Glück. Wenn ihm die
Mutter den zusammengewickelten Zeuglap-
pen, den es auf dem Arme hätschelt, weg-
nimmt, um ein Pariser b6b6 incassable dafür
hineinzulegen, so weint das Kind, denn
die Phantasie ist in ihm beleidigt worden
durch die rohe Realität, die sie überbieten
will und deren Unwert vom Kinde dunkel
geahnt wird.
Von Kindern aus dem Proletariate geht
häufig eine mit tiefem Bedauern gemischte
Abstoßung aus, weil sie das Äußere von
Kindern haben und dennoch keine Kinder
sind. Sie leben nicht in der Welt der An-
schauung, sondern gehen schon mit prakti-
schen äußeren Zwecken um. Die Not hat
ihnen bereits den Blick für alles Reale ge-
schärft; ihr Auge glänzt nicht mehr vom
Widerschein des Paradieses. Deshalb schrei-
ben wir ihnen auch ohne weiteres mehr
praktische Einsicht und Verantwortlichkeit
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zu, als den Kindern höherer Stände, die sich
noch den Luxus gestatten dürfen, weltfremde
Himmelsbürger zu sein.
Diesem Stand der Kindheit bleibt der
geniale Mensch sein Leben lang nahe. Es
ist ein Zeichen von Gemeinheit, sich früh
in dem, was man „die Welt“ nennt, zurecht
zu finden.
Wenn wir blieben, was wir in den Jahren
vor der Geschlechtsreife waren ! Damals
lebten wir unmittelbar im Anschauen der
Gottheit.
Jeder erlebt in sich den Sturz aus dem
Paradiese, wenn er sich seines Geschlechtes
bewußt wird. Wie wahr ist die Mythe vom
verlorenen Unschuldsstand und dem ver-
lorenen Eden. Sie verlegt nur, wie es alle
Mythen tun, das, was sich täglich wiederholt,
in den Anfang der Zeiten. Der Unschulds-
stand ist das Leben in der Vorstellung. War-
um sind Kinderaugen so rein und leuchtend
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wie die des Dichters, als weil sich nur die
ewigen Dinge in ihnen spiegeln? Der Er-
wachsene, der diese Unschuld in sich wieder-
herstellen kann, vielleicht von Millionen ein
einziger, der hat die ewige Jugend.
Der antike Mensch blieb der Kindheit
näher, weil ihn am Eingang ins reife Leben
kein Verbot erwartete, um ihn in tausend-
fältigen Zwiespalt zu stürzen. Denn nicht
der Biß in den Apfel war es, der unsere
Voreltern vom Paradies getrieben hat, son-
dern die Existenz des verbotenen Baumes
und das Reifen seiner Früchte.
Auch im günstigsten Falle können wir
als Erwachsene nicht mehr die abgerundeten,
in sich geschlossenen Wesen bleiben, die
wir als Kinder waren. Verhältnisse zwingen
uns auf Wege, die wir nie gesucht hätten,
oder bannen uns in einer Umgebung fest, die
uns nicht entspricht. Unsere Welt können
wir uns nicht mehr nach unserem Bedürfnis
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aufbauen, wenigstens sind wir genötigt, viele
Bausteine mit zu verwenden, die uns von
außen aufgedrungen sind. Wir müssen lernen
Kompromisse schließen, unser Naturell ver-
leugnen, und das Beste in uns kommt viel-
leicht nie zum Wort. Dieses zerstückelte, un-
vollendete, zusammengeflickte Ding heißt
dann ein Menschenleben. Wehe dem, der
nicht schon bei lebendigem Leib sein selbst-
geschaffenes Jenseits hat, wo er die bessere
Hälfte seines Daseins zubringt, wo wieder,
wie in der seligen Kindheit, alles Unfertige
ergänzt, das „Unzulängliche“ „Ereignis“ wird.
M^an soll nur nicht glauben, daß die
äußeren Zeichen der Mitteilung eine gemein-
verständliche Sprache seien. Wie viele Kon-
flikte zwischen Eltern und Kindern entstehen
nur dadurch, daß der Aufgeregte die Ver-
schlossenheit des anderen für Stumpfsinn
hält, und der Verschlossene umgekehrt jede
leidenschaftliche Äußerung für vollwertige
Münze nimmt. Der eine sagt sich: Wie muß
es im Innern stürmen, bis man dahin kommt,
94
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m
sich so gehen zu lassen! — während der
andere denkt: Wie kalt muß man sein, um so
gelassen zu bleiben. — Verschlossene Kin-
der, die von den Großen mißverstanden
werden, setzen gewöhnlich ihre ganze Kraft
darein, den Gegensatz zu verschärfen, sich
niemals zu äußern; je mehr sie bedrängt
werden, desto fester krampft sich ihr
Inneres zu.
Die Kindheit ist ein beständiger Kampf
ums Ich, um die' Individualität, die von den
Erwachsenen oft mit der unverständigsten
Grausamkeit verfolgt wird. Was ist indivi-
dueller, als die Art, seine inneren Zustände
zu äußern? Dasselbe Wort hat ja bei ver-
schiedenen Naturen grundverschiedene Be-
deutung, und die lauteste Form ist nicht
immer die inhaltvollste. Aber wer selbst ge-
wohnt ist, bei jedem Anlaß in leidenschaft-
liche Worte und Gesten auszubrechen, der
versteht das Verstummen nicht, das für eine
verschlossene Natur sehr beredt sein kann.
Wenn ich ein Kind sehe, das bei starken
Anlagen nie eine Empfindung äußert, so
denke ich: Hier fehlt das Sicherheitsventil,
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man darf nicht zu stark heizen. Verrannte
Eltern heizen aber immer noch stärker, und
so entstehen jene Kindertragödien, an denen
die Erwachsenen meist so ganz fühllos vor-
übergehen.
In der Sprache der Erzieher spielt Gut
und Böse eine große Rolle, aber gewöhnlich
verstehen sie darunter, was ihnen bequem
oder unbequem ist. Meistens ist die soge-
nannte Erziehung nur ein Krieg der Starken
gegen die Schwachen. In diesen ungleichen
Kämpfen sind fast jedem von uns ein paar
Rippen krumm geschlagen worden, die nie
wieder gerade wuchsen.
Ja, wenn ihr Erzieher selber reife Men-
schen wäret und weitsichtige Weise dazu.
Aber im Alter, wo ihr zu diesem Amt be-
rufen werdet, seid ihr meistens mit euch
selber noch nicht fertig. Ihr werdet viel-
leicht später einmal fähig, eure Enkel zu
erziehen, nachdem eure Kinder das Lehrgeld
gezahlt haben.
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68
Weil die beiden natürlichen Erzieher des
Kindes meistens zwei ganz verschiedene Na-
turen sind, so erkennt jedes im Kinde nur
die Züge, die von ihm selber stammen. Nun
hat bei der Erziehung fast immer der eine
oder der andere Teil die Oberhand, und so
kann es kommen, daß der beste Vater acht-
los dabeisteht, wenn von einer liebevollen,
aber nicht verstehenden Mutter seine eigene
Welt im Kinde mißhandelt wird oder um-
gekehrt. Gar für die Eigenschaften, die es
mit keinem der beiden Eltern gemein hat,
findet es auch auf keiner Seite ein Verständ-
nis, und so geht ein tragischer Zug fast
durch jedes Kinderleben.
Eltern sollten sich nicht unberufen in
das Gefühlsleben ihrer Kinder eindrängen;
das keusche, vornehme Verschließen des
Inneren gehört zum besten, was sie haben.
Wenn diese Blüte entweiht wird, so gibt es
eine Demütigung, die den ganzen Charakter
schwächen kann. Sie dürfen nicht glauben,
daß die Kinder Wesen seien, die ihnen ge-
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hören, eine Verlängerung ihres Ichs; sie sind
ihr eigenes Eigentum, die Welt fängt bei
ihnen von vornen an. Wie sie nicht einge-
zwängt werden sollen in die kleinen Kreise
der Eltern, so soll man sie auch in keine
Ausnahmebahnen drängen. Wollet sie nicht
zu Aposteln eurer Ideen erziehen, wenn sie
keinen Drang zum Apostolate zeigen. Glaubet
nicht, daß ihr in ihnen eure Ideale verwirk-
lichen dürft; zu diesem Experiment hattet
ihr euch selbst, die Kinder laßt ihren eigenen
Sternen. Wohl sind sie Fleisch von eurem
Fleisch, aber wie ihr beide unter einander
grundverschiedene Wesen seid, so sind sie’s
von euch. Und die Zeit, in der sie leben
werden, hat andere Schlachten zu schlagen,
als die, in denen ihr mitgekämpft habt.
98
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ETHIK UND
| RHYTHMUS J
Einst wird es kommen, dass auf Erden
Sich höhere Geschlechter freu’n,
Und heitre Angesichter werden
Des Ewig-schönen Spiegel sein.
Moericke.
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Alle Ethik der Zukunft wird sich mit der
physischen Veredlung der menschlichen
Rasse zu beschäftigen haben. Die Griechen
als die ersten aller Lebenskünstler gaben viel
weniger auf Erziehung als auf Züchtung.
Solon verbot die Mitgiften, um eine herr-
liche Rasse zu erzielen. Dieser Maß-
regel allein, durch Jahrhunderte festge-
halten, verdankt vielleicht Athen die Wun-
derblüte seiner Kultur und ihre innere
Dauerhaftigkeit, durch die sie noch bis in
unsere Tage herüberleuchtet. Als die Kor-
ruption in Athen einbrach und die Geld-
heiraten in Schwang kamen, war der von
Solon geschaffene Typus schon so stark,
daß seine Anlagen noch mehrere Jahr-
hunderte lang der Entartung Widerstand
leisteten und fortfuhren, unvergängliche
Werke zu schaffen, bevor er ganz ver-
schwand. Kann jemals ein solcher Typus,
in dem das Ideal der Menschheit Fleisch
und Blut geworden ist, aufs neue zur Wirk-
lichkeit werden, außer in vereinzelten In-
dividuen ?
ioi
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Die engherzige Moral der Heutigen reicht
nicht über die Grenze des Einzeldaseins hin-
aus, während der Grieche eine Ethik des
ganzen Stammes hatte. Es ist Ethik im aller-
höchsten Sinne, wenn ein griechischer Dich-
ter den Paris auf dem Ida bei seiner ver-
hängnisvollen Wahl durch die Erwägung
geleitet werden läßt, daß eine herrliche Braut
ein herrliches künftiges Geschlecht verbürge,
während die Verheißungen der Pallas und
der Here nur seiner eigenen Person zu gute
kämen. Freilich, etwas von dieser ethischen
Macht spüren wir auch heute noch; unser
ganzes Interesse an Liebesromanen ent-
springt aus der (nicht ins Bewußtsein treten-
den) Empfindung, daß ein höherer, im In-
stinkte wirkender Naturzweck mit den niedri-
gen gesellschaftlichen Zwecken zusammen-
geprallt ist — an sich könnte es uns sehr
gleichgültig sein, ob der Hans die Grete
oder die Liese bekommt. Aber nur der
Grieche hat die Erzeugung einer edlen Nach-
kommenschaft als bewußte ethische Forde-
rung formuliert.
Ein Mensch von edlen Rasseanlagen
102
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müßte aus Instinkt die höchsten Opfer
bringen, um diese Anlagen unverfälscht
weiter zu verereben und das Edle durch das
Edle zu multiplizieren; er müßte lieber
seinen Stamm erlöschen sehen, als ihn mit
gemeinen Anlagen kreuzen und verderben. Es
war ein Mißverstehen dieses Prinzips, woraus
die Adelsvorurteile entsprungen sind. Aber
ist es nicht ein Rest vom Idealismus der
Menschheit, der mit dem Unsinn dieser Vor-
urteile abstirbt ?
Die moderne Gesetzgebung baut Kran-
ken- und Irrenhäuser; sie nimmt Anstalten
für Tuberkulöse, für jugendliche Verbrecher,
für Krüppel und Trunkenbolde unter ihren
Schutz. Lauter nutzlose therapeutische Ver-
suche, wo Macht und Mut zur Prophylaxe
fehlen. Ein veredelter Sozialismus wäre wohl
einmal berufen, dem Übel wie Solon die
Axt an die Wurzel zu legen. Man hebe nur
erst Erbrecht und Mitgift auf, daß das Geld
als Kuppler zwischen Mann und Weib keine
Rolle mehr spielen kann, so werden beide
Teile sofort wenigstens den körperlich
ebenbürtigen Genossen suchen, und eine Ge-
103
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S®
sundung des Normaltypus schon in der näch-
sten Generation wird die sichere Folge sein.
Nach einigen Generationen aber werden
wieder adlige Geschlechter über die Erde
wandeln, während es jetzt im besten Falle
nur adlige Individuen gibt. Bei dem so ge-
wonnenen Typus wird die Erziehung wenig
Mühe haben. Denn edle Rasseanlagen, durch
musische und gymnastische Ausbildung ge-
hoben, enthalten den Keim jeder ethischen
Entwicklung als etwas Natürliches und Un-
vertilgbares in sich, und dieser Keim wächst
ganz von selber, wenn ihm der rechte Boden
bereitet ist.
Über wie viele Schlachtfelder mag der
Weg zur Erfüllung dieses obersten Kultur-
zwecks die Menschheit führen! Aber sollten
auch zwei Drittel aller Lebenden dabei ver-
tilgt werden, ja und müßten selbst die
Wunderwerke einer alten, heiligen Kultur
bei dem Weltbrand vollends in Stücke gehen,
der Preis wäre nicht zu teuer, denn eine
solche neugeborene Menschheit könnte neue
Wunderwerke schaffen.
Und was sind alle Wunder der Kunst
104
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SS
neben dem höchsten Wunderwerk, dem voll-
endeten Menschen selbst!
Im Altertum pflegte man die schwächlich
Geborenen auszusetzen. Unsere moderne
philanthropische Gesellschaft behütet gerade
diese wie ihren kostbarsten Schatz und baut
sogar Brutkästen für Siebenmonatkinder.
Aber den unehelich gezeugten, den einzigen,
von denen man mit einiger Wahrscheinlich-
keit annehmen kann, daß sie gesunde
Resultate einer natürlichen Wahl, also
die wahrhaft „Wohlgeborenen“ sind, gönnt
sie keinen Platz, sie zeichnet sie mit einem
Schandmal, übergibt sie wohl gar den „Engel-
macherinnen“. Sie zieht das Schwächliche
und Unfähige mit Opfern auf und räumt
das Starke, Gesunde aus dem Wege. Wir
schlagen über die Grausamkeit der Alten die
Hände über dem Kopf zusammen, aber was
wird ein späteres Jahrhundert von der
Philanthropie des unsrigen sagen?
105
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MS
MUSIK UND ETHIK. Alles Gute ist
nur Harmonie, Rhythmus, Einstimmen und
Takthalten mit der Musik des Weltganzen.
Kleinlich-egoistische, boshafte Zwecke sind
ein Ausdemtaktfallen, das sich gleich mit
eigener innerer Disharmonie und Unlust be-
straft. Später kommt auch die Strafe von
außen hinzu, denn die gestörte Harmonie
stellt sich über den Friedensstörer weg wieder
her. Nicht in gute und schlechte, sondern
in musikalische und unmusikalische müßte
man die Menschen einteilen.
Die Griechen, denen Musik und Reigen-
tanz die Kultformen waren, unter denen sie
der Gottheit dienten, hatten geradezu den
Rhythmus für das ethische Gesetz erkannt,
das den Menschen zum Menschen bindet.
Aus dem Niedergang der Musik prophezeiten
sie — nicht mit Unrecht — den Niedergang
der ganzen Rasse.
Tanzen auch ist Gottesdienst,
Ist ein Beten mit den Beinen.
Dieses frivole Wort Heines, bei den
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Griechen ist es einmal reinste, frömmste
Wahrheit gewesen. Man verbanne nur unsere
abgeschmackten Rundtänze aus seiner Vor-
stellung, wenn man das Wort „Tanzen“ hört.
Jeder Tanz, vom feierlichen Chorschritt zum
wildesten bakchischen Rasen, entsprang dem
Griechen aus einem religiösen Drang, war
ein Versuch der Annäherung an die Gott-
heit. Ein Einfühlen der Seele in die Har-
monie des Ganzen, Anpassung der Glieder
an den Schwung und Rhythmus aller Dinge,
Gefühl göttlichen Gehobenseins in jeder Be-
wegung, liebendes Hinstreben zu den Mit-
geschöpfen, sicheres Ruhen auf dem eigenen
Schwerpunkt.
Man spricht jetzt wieder so viel von Re-
ligion, ohne bei dem zugestandenen Nieder-
gang des Dogmas recht zu sagen, was man
eigentlich darunter versteht. Soll es im weite-
sten Sinne die Verehrung einer unsichtbaren
Macht und Ordnung sein, dann würde ich mit
Hölderlin sagen: „Seid nur fromm, wie der
Grieche war.“ Nehmt zu Musik und Poesie
auch die dritte der Schwesterkünste, den
Tanz, den schön ausgebildeten, wieder unter
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die Kultformen auf und dient dem Unsicht-
baren „mit Herz und Leib, mit Hand und
Fuß“ einfältig, wie der „Tänzer unserer lieben
Frau“. Das Ausströmen der Seele im Rhyth-
mus wird sie besser reinigen, als Bußtage
und Fasten, es kann eine wirkliche Erziehung
zu ethischer Kultur werden. Ja, ich glaube
fest, daß der Mensch im Augenblick, wo sein
Körper sich am Bande einer herrlichen Musik
wie an einer goldenen Kette schwingt, keines
niedrigen oder verbrecherischen Gedankens
fähig ist.
DURCH RHYTHMUS ZUM RHYTH-
MUS. Die Musik, die transzendentale Kunst,
bringt von jenseits der Dinge die große Heils-
botschaft einer ewigen Ordnung und durch-
flutet damit unsere innere Welt. Die Poesie
dehnt diesen Rhythmus auf das Menschen-
leben aus und verdolmetscht ihn durch ihre
Bilder der irdischen Geschicke in einer
Sprache, die wiederum Rhythmus ist. Die
bildenden Künste verbreiten ihn durch Form
und Farbe über alle sichtbaren, vom Men-
schen geschaffenen Dinge und schließen
108
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damit den Ring, denn die Naturgebilde haben
von selber den Rhythmus in sich.
Alle Künste haben unbewußt ein ethi-
sches Ziel, bis zur harmonischen Bemalung
eines Topfes herunter: sie wollen das rhyth-
mische Gefühl stärken, durch das der ge-
heimnisvolle kosmische Zusammenhang der
Dinge zu uns spricht. Ethische und ästheti-
sche Werte sind in ihrem allerinnersten
Wesen eins, und auch die Religion ist nur
ein anderes Wort für dieselbe Sache. Man
lehre den Rhythmus der sichtbaren Dinge
durchs Auge und den der unsichtbaren
durchs Ohr, und man wird die junge Seele
für die Forderungen des Sittengesetzes besser
empfänglich machen, als durch das nüchterne
„Du sollst“ einer abstrakten Moral. Die ein-
zelnen Dissonanzen wird man damit nicht
aufheben, wohl aber kann man eine allge-
meine Empfindung vom Einklingen des
Menschenlebens in den Gang des Welt-
ganzen erwecken, und damit das Dasein zu
höherer Sicherheit und Freudigkeit empor-
tragen.
zog
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SS
Eine Ahnung vom Wert der Künste als
Erziehungsmittel dämmert heute doch der
Welt. Man lehrt in den Schulen die Anfangs-
gründe der Musik, man sucht durch den An-
schauungsunterricht das stumpf gewordene
Auge für den Rhythmus der Formen wieder
empfänglich zu machen. Warum ist die
Dichtkunst das Stiefkind unserer Kultur ge-
worden? Wer hat heute noch ein Ohr für
den Wohllaut der Poesie? Der Durch-
schnittsgebildete hört vom Rhythmus eines
Gedichts so viel, wie von der Harmonie
der Sphären. Es ist nicht immer so gewesen.
Gar nicht zu reden von der über alle Vor-
stellung gehenden Feinhörigkeit der Griechen
— auch die Lieder der nordischen Völker,
zum Beispiel die alten Balladen der Dänen
und Schweden, setzten ein viel feineres Ohr
voraus, als man von irgend einem heutigen
größeren Publikum erwarten darf. Das macht:
jene Völker hatten noch Zeit, auf die Stim-
men der Natur zu lauschen, die die große
Lehrmeisterin des Rhythmus ist.
Auch diese verlorene Gabe kann der
Menschheit zurückgewonnen werden, durch
zio
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Unterweisung in der Jugend, wo die Tage
noch lang und die Sinne anpassungsfähig
sind.
Von der Stärke unseres inneren rhyth-
mischen Gefühls, das heißt von der Ahnung
unseres unzerstörbaren kosmischen Zusam-
menhangs hängt die Grundstimmung unseres
Wesens ab. Bei einzelnen bevorzugten In-
dividuen ist die aus dieser Ahnung stam-
mende freudige Sicherheit so groß, daß sie
aus jeder ihrer Mienen und Gesten spricht
und sich auf magische Weise der ganzen
Umgebung mitteilt. Der Unmut klärt sich
vor ihnen auf, die Schwachheit stützt sich
auf sie, in bedrängten Lagen scheint ihre
Gegenwart eine Bürgschaft, daß sich alles
zum Guten wenden müsse, bei unwiderruf-
lichem Unglück besänftigt sie die Heftig-
keit der Schmerzen, indem sie über die augen-
blickliche Zerrüttung weg das Gefühl der
ewigen Ordnung wieder lebendig macht.
Die Wirkung dieser Naturen ist meta-
physischer Art, wie die der Musik; sie ist
iii
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5ffi
eine unwillkürliche, denn sie hängt keines-
wegs mit irgend einer Macht oder auch nur
Absicht, zu helfen und zu trösten, zusammen.
Wir fragen auch gar nicht, woher sie stammt,
wir wissen nur, sie ist, und verehren dankbar
ihre Gegenwart.
Dieses rhythmische Gefühl ist die einzige
Form des Glückes, die es für den Sterblichen
gibt. Und weil die Kunst danach strebt, den
Rhythmus zu verbreiten, deshalb ist sie die
große Weltbeglückerin, ja sie ist gleichbe-
deutend mit dem Glücke selbst.
KÖRPER UND SEELE. Menschen, die
von Hause aus häßlich sind, aber ein har-
monisches Gemüt haben, werden mit den
Jahren schöner. Die Häßlichkeit, die in der
Jugend als wilde, schreiende Dissonanz auf-
tritt, läßt sich durch den inneren Rhythmus
besänftigen, wo nicht in Anmut lösen. Musi-
kalische und poetische Begabung können viel
dazu beitragen, sie sind die eigentliche Kos-
112
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metik der Seele, die auch nach außen zurück-
wirkt. Die Züge gehorchen dem inneren
musikalischen Gesetz, indem sie sich ge-
fälliger zusammenstimmen. Wenn solche
Menschen sich in der Liebeswahl nicht ver-
greifen, so wird sogar ihre Nachkommen-
schaft eine schöne sein: die innere Musik,
in die der Rhythmus einer anderen Seele
eingestimmt hat, tritt nun lauter und mäch-
tiger nach außen und kann zur herrlichsten
Symphonie werden. Denn die Natur will
immer das Schöne schaffen; wo es ihr nicht
gelingt, da hat sie die Dissonanzen nicht
überwinden können.
Umgekehrt werden schöne Gesichter,
hinter denen boshafte, neidische, lieblose Ge-
danken sich verbergen, mit der Zeit häßlich.
Die inneren Dissonanzen rütteln das schöne
Gebäude durcheinander. Seelen, die nicht
einstimmen in die Harmonie der Dinge, die
also im höheren Sinne unmusikalisch sind,
können die Harmonie ihrer Züge nicht fest-
halten. Denn Musik ist das Schönheitsgesetz
selbst, in dem sich die ungeheure Ordnung
und der Zusammenhang des Universums aus-
SS
spricht, der vom Ganzen aus alle Teile durch-
strömt und das Kleinste zum Größten bindet.
Auch sein Äußeres zu formen, steht in des
Menschen Hand, denn er ist der Herr, der
Macht und Freiheit hat zu allem.
Jedes harmonische, höhergestimmte Le-
ben schließt den Willen der Natur zur Ver-
edlung des Leibes ein. Gymnastik ist eine
herrliche Sache, um diesem Willen nach-
zuhelfen, aber nur der Geist ist sicher, die
überwuchernde Materie zurückzudrängen,
und nur die Seele führt dem Körper stets
frische Säfte zu, daß er nicht verdorren kann.
Zuweilen begegnet man Menschen, die
sich bis ins höhere Alter die saftreiche Frische
und die Reinheit der Form bewahrt haben.
Solche Gestalten sollen wir mit Ehrfurcht
als etwas Göttliches betrachten, denn ihre
Schönheit ist keine aus der Hand des Zu-
falls gekommene, sie ist der Preis eines
höheren Lebens. Sie müssen für uns sein,
was den Griechen ihre Heroen waren, Mittel-
glieder zwischen Menschen und Göttern.
**
114
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Man stößt sich oft daran, daß die griechi-
schen Dichter sich so wenig mit den morali-
schen Qualitäten ihrer Götter und Helden
befassen, daß diese Idealbilder, um ein Wort
Goethes zu gebrauchen, auf „verklärten phy-
sischen Eigenschaften“ ruhen.
Man vergißt dabei, daß dem Griechen
Geist und Körper eins sind: verklärte phy-
sische Eigenschaften sind jedem jugend-
lichen Volke moralische Eigenschaften, wie
viel mehr einem so künstlerisch angelegten,
•wie den Griechen. „Schön und trefflich“
schmolz ihnen in ein Wort und in einen
Begriff zusammen. Auch heute fühlen wir
noch etwas von dieser Einheit durch. Die
Gutmütigkeit des Starken ist bei allen Völ-
kern sprichwörtlich, und den Italiener wenig-
stens kann man mit der innigsten Überzeu-
gung versichern hören, daß nur schöne
Menschen gut seien. Wenn er von einem
Menschen das Wort „bello“ mit dem tiefsten
Nachdruck braucht, so fühlt man, daß die
Vorstellung der seelischen Schönheit mit
eingeschlossen ist. Anwidemde Häßlichkeit
kann sich in Italien nicht zeigen, ohne der
8 *
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öffentlichen Rüge zu begegnen. Das ist
freilich ein grausamer Zug, aber es liegt ihm
kein falscher Instinkt zu Grunde. Denn
da die Natur das Schöne will, so ist Ab-
irrung in der Form eine Dissonanz, die auf
eine, allerdings oft weit zurückliegende, mo-
ralische Verfehlung — eine Art Erbsünde —
deutet.
Wenn die romanischen Völker vielleicht
in dem naiven Rückschluß vom Äußeren auf
das Innere zu weit gehen, so vertraut sich
der Deutsche dagegen dem Instinkte viel
zu wenig an. Es ist noch nicht lange her,
daß man in Deutschland sogar geneigt war,
schöne Menschen mit einem gewissen Arg-
wohn zu betrachten, und daß körperliche
Häßlichkeit und Unscheinbarkeit, plumpes,
ungefälliges Wesen ein gewisses moralisches
Übergewicht gaben. Einem Mädchen wurde
verargt, wenn sie von ihrem künftigen Gatten,
ein anziehendes Äußere verlangte, wofür man
noch in den Familienromanen jener Zeit den
Beweis finden kann, wie überhaupt die Lite-
116
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ratur der illustrierten Familienblätter und
was dahin gehört, der beste Pegel für den
jeweiligen deutschen Kulturstand ist.
Der moderne Mensch ist allmählich da-
hin gelangt, daß er Schönheit des Körpers
kaum mehr wahrnimmt, so sehr ist er ihres
Anblicks entwöhnt. Selbst die Künstler kann
man mitunter auf einer großen Unsicherheit
betreffen, was wahrhaft schöne Gliedmaßen
sind, und gar der Laie hat in den seltensten
Fällen ein Urteil. Für die herrliche Musik
des menschlichen Leibes ist das natürliche
Organ abhanden gekommen. Die Menschen
glauben heutzutage, daß nur das Gesicht der
Spiegel der Seele sei, während doch der-
selbe Wille der Natur, der die Gesichtszüge
formt, in allen Teilen des Leibes bis herab
in die feinsten Muskelfasern und Hautgewebe
tätig ist, und dieselbe Kraft des Geistes durch-
weg die Ausgestaltung vollendet. Denn am
menschlichen Körper arbeiten Geist und
Natur zusammen; man würde ihn höher
achten, wenn man sich das gegenwärtig
117
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hielte. Wer es nicht glaubt, vergleiche nur
Knochenbau und Muskulatur eines völlig ge-
sunden, völlig normalen Modells aus dem
Volke mit dem Körper eines gleichfalls völlig
' gesunden, völlig normalen und dabei durch
Vererbung und eigene Anlagen veredelten
Menschen höherer Stände. Es wird ihm Vor-
kommen, als sähe er eine rohe Skizze neben
einem ausgeführten Kunstwerk. Bei Hand
und Fuß läßt man das gelten. Jedermann
weiß, daß es einen aristokratischen Fuß gibt,
(obwohl man darunter meistens den Stiefel
versteht). Bei der Hand geht es sogar weiter :
wer einigermaßen ein Auge hat, unterscheidet
nicht nur die aristokratische von der plebeji-
schen, sondern auch eine habgierige, zum
Greifen und Festhalten geschaffene Hand
von einer gütigen, freigebigen, eine apathi-
sche, gleichgültige von einer lebendigen. Daß
der Arm die Sprache fortsetzt, und daß sie
sich, mehr oder minder ausdrucksvoll, über
den ganzen Körper verbreitet, daran denkt
man nicht. Wenn man daran dächte, wenn
diese Sprache, die auch durch die Kleider
hindurch vernehmbar ist und durch eine
118
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naturgemäße Tracht noch vernehmbarer wer-
den müßte, allgemein verstanden würde, so
wäre die Menschheit um einen großen Genuß
reicher und hätte einen mächtigen Antrieb
mehr zur Selbstveredlung.
Auch wir Germanen haben göttliche
Künstler gehabt, Deutsche und Niederländer,
doch von der Herrlichkeit des menschlichen
Leibes haben sie uns nichts, aber auch gar
nichts geoffenbart.
r*
Schönheit des Leibes ist dem modernen
Menschen eine halb vergessene Sage. Immer-
hin eine Sage ist sie doch! Aber was würde
aus uns ohne die Griechen!
ff
„Immer die Griechen! Kannst du denn
von nichts anderem reden?“
Es treibt mich, allen meinen Wohltätern
zu danken. Den Griechen danke ich, wie
bülig, am öftesten.
**
ng
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SS
Auf mancherlei Gebieten habe ich mich
umgetan und vieles habe ich versucht. Aber
wo ich glaubte, das Beste zu haben, bei
den Griechen fand ich es immer noch besser.
Das ist die Wahrheit — bis herab zum Schuh.
Die Jugend ist entschuldigt, wenn sie
sich durch das Scheinbild einer anmutigen
oder pikanten Äußerlichkeit verführen läßt.
Sie ist dabei gar nicht so „äußerlich“, wie
es scheint, sie erliegt nur einem falschen
Symbolismus, weil sie eine Äußerlichkeit gar
zu buchstäblich für das Wahrzeichen eines
inneren Vorzugs nimmt.
Bisweilen sieht man in jungen Gesichtem
solche merkwürdige, ergreifende Abzeichen
eines höheren Seins, Siegel der Anmut oder
Herrschaft oder der Poesie, die als das Aller-
persönlichste erscheinen und doch mit der
Person gar nichts zu tun haben, denn die
Natur borgt sie nur auf kurze Zeit zur Er-
innerung an einen früher in der Familie oder
der Nation dagewesenen Typus. Es ist da-
mit wie mit dem Familienschmuck aristo-
120
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SS
Sä®
kratischer Geschlechter. Er wird der jeweili-
gen Herrin vom Majordomus für das Fest
eingehändigt und nach dem Gebrauch wieder
abgenommen und verschlossen, denn kein
Stück davon ist ihr eigen. — Erst wenn
solch ein Siegel das 30. Lebensjahr über-
dauert hat, kann man sagen, daß es kein
geborgtes Anhängsel, sondern ein Stück
Eigentum ist.
Deshalb gilt auch von der äußeren Schön-
heit das Wort:
Was du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen.
• 121
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GEHEIM-
* NISSE *
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Das „Mystische“ nennen wir einen Zu-
sammenhang, den wir fühlen, ohne ihn zu
begreifen.
Natur! Diese große Maschine, die uns
zermalmt! Wenn wir nichts hätten, als die
Natur, so müßten wir uns fühlen, wie der
Verurteilte, der schon dem Henker übergeben
ist. Statt dessen leben wir hin in vollkom-
mener Zuversicht. Ein Metaphysisches geht
immer unbewußt mit uns und macht uns
über unser Schicksal ruhig.
Es ist einer in uns, der die Phantas-
magorie unseres äußeren Lebens träumt, und
von der Richtung seiner Phantasie hängt es
ab, wie diese Traumbilder sich gestalten.
Selbst die unerwartetsten Zufälligkeiten, die
aus dem Gebiete des blindesten Ungefährs
*25
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heranschießen, sind seine Gedanken. Dieser
Träumer ist nicht mein Ich, aber zwischen
ihm und meinem Ich besteht eine innige
Wechselbeziehung. Irgendwie sind wir uns
doch verwandt, ich bin sein Medium, und
mein Wesen wirkt auf das seinige zurück
und hilft ihm mein äußeres Leben bauen.
Außerordentliche Schicksale treffen nur
starke Seelen, weil der Träumer, der das
Leben eines Oberflächlichen träumt, zu
mächtigen Traumbildern keine Kraft hat.
Wenn unverschuldetes, tragisches Ge-
schick wie ein reißendes Tier den Edlen
anfällt, so leidet mein Sinnliches mit ihm,
aber mein Geistiges wird bewegt und ge-
hoben durch die Tragödie, die der Träumer
in ihm dichten muß, und ich fühle: ihm
selber geht es ebenso. Denn nicht nur in
dem, was einer tut, sondern auch in dem,
was er bloß erleidet und wofür er scheinbar
gar nichts kann, ist eine gewisse Auswahl
und Anpassung zu beobachten. Wenn daher
das schlechthin Unwürdige einen unbe-
scholtenen Menschen trifft und ihn von dem
Niveau, auf dem wir ihn bisher gesehen
126
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SS«»»«
haben, herunterstößt, so kann ich mich
des Eindrucks einer Mitschuld, freilich
außerhalb der Grenzen der Verantwortlich-
keit, nicht erwehren. Ist wohl irgend einmal
der Träumer in ihm durch die Berührung
seiner Innenwelt herabgezogen worden und
hat fortan die Schranken seiner Würde nicht
fest genug geschlossen, so daß das Niedrige,
Unwürdige sich in seinen Traum einschlei-
chen konnte? In den höchsten Menschen
scheint eine Immunität gegen unwürdige Zu-
fälle zu wohnen. Wenn wir alles Niedrige,
Unwürdige aus unserem Geiste fernhalten,
sollte das nicht den Träumer in uns stärken,
daß er die niedrigen, unwürdigen Zufälle
von unserem Leben ferneträumt?
99
DIE WELT EIN VEXIERBILD. Wo
ist die Wahrheit? In welcher Religion, in
welcher Philosophie, in welchem System
menschlicher Gedanken ist das Ewige ein-
geschlossen ?
In jedem, wenn man es mit den Augen
seiner Bekenner ansieht.
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SHS^Si^SSgä!
Und zu welchem wirst du dich bekennen ?
Zu keinem. — Hier seht diese schöne,
äußerst künstlich gemachte Zeichnung mit
hellen Lichtern und tiefen Schatten und
leisen Übergängen, die aus tausenden von
Strichen besteht. Was stellt sie vor?
„Nun, das ist klar. Eine Waldpartie mit
Felsblock und rieselndem Wasser,“ sagt der
eine.
„Ei, wo denn?“ ruft der andere, der das
Blatt von der entgegengesetzten Seite sieht.
„Das ist ein Schäfer mit seinen Schafen.“
„Nichts von Felsblock oder Schäfer,“ er-
klärt der dritte. „Ich sehe Friedrich den
Großen, auf seinen Stock gestützt.“
Ihr habt alle recht. Es war ein sehr geist-
reicher und geschickter Künstler, der das
gemacht hat. Aber der Weltgeist ist noch
tausendmal geschickter und geistreicher als
er. Lies seine Zeichnung ab, wie du nur willst,
immer und immer bringst du ein neues Bild
heraus. Dabei bleiben gerade, wie auf dem
Vexierbild, immer ein paar Striche übrig,
die du in deinem Bild nicht unterbringen
kannst, und die du in Gottesnamen wegläßt.
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Du hast ja nur die Erfahrungen deiner fünf
Sinne, dieser armen Waisenknaben. Denke
dir nun, du hättest mehr und feinere Organe
— ja, denke dir nur, du hättest zum Beispiel
den Raumsinn der Taube — wie viel neue
Möglichkeiten das Weltvexierbild abzulesen
und von den übrig gebliebenen Strichen
da und dort etwas hineinzuziehen! Wie viel
aber würde auch solch ein begabteres Wesen
neue Striche aus der Unendlichkeit heran-
schießen sehen, die wiederum in sein Bild
nicht paßten und ihm neue Rätsel aufgäben!
Und du, als der du vor mir stehst, glaubst
des Pudels Kern gefaßt zu haben? Sei doch
bescheidener.
„So käme man denn dem Ewigen nie
um einen Schritt näher?“
Das Ewige weiß in uns sich selbst und
braucht nicht weiter gewußt zu werden; es
hat daran in Ewigkeit sein Genüge.
DAS ICH. Was haben wir nach dem
Woher und Wohin, nach Anfang und Ende,
was haben wir gar nach dem Warum der
12g
9
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Dinge zu fragen, wenn der Frager nicht ein-
mal weiß, wer er selber ist. Fort und fort
fragt es in uns, wer wir seien, und wir können
keine Antwort geben. Mutterseelenallein trei-
ben wir auf dem Ozean des Daseins umher,
wie in eine Austerschale in unser Ich ge-
schlossen, in dessen Schranken wir niemals
ein zweites Wesen auf nehmen können, auch
das geliebteste nicht. Was ist dieses Ich,
das sich selber lebenslang ein tiefes, schauer-
volles Rätsel bleibt ? Ist es vielleicht ein
Irrtum, eine ungeheuerliche Suggestion, die
wir mit auf die Welt gebracht haben, ein
eingebildeter Kreis, in den uns ein mächtiger
Zauberspruch gebannt hat? So liegt durch
sein eigenes Wort verzaubert Merlin hinter
seiner Weißdomhecke, die ihm als ein eiser-
ner Turm erscheint, und kann nicht mehr
heraustreten, wie auch die Stimme der Ge-
liebten ihn rufe.
Mit unheimlichem Narreneigensinn muß
das Ich an seiner innersten Zentralität fest-
halten, die mit der Zentralität aller anderen
im Widerspruch steht. Schon Kinder können
darüber streiten, welches von ihnen denn
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SS
J0&
SS
das eigentliche Ich sei, wobei ein jedes
natürlich sich selbst für dieses bevorzugte
Wesen hält und die anderen für bloße Dus,
also für Geschöpfe von geringerer Realität
erklärt, und die nur beziehungsweise exi-
stieren.
Oder hat das Ich einen Grund zu diesem
ihm selber so unbegreiflichen und schauer-
lichen Anspruch?
Sind wir die abgelösten Teile von einem
Weltzentrum, auf das sich alles bezieht, zahl-
lose, winzige Splitterchen, die die Zentrali-
tät noch in sich haben, daß ein jedes sofort
wieder zum Zentrum wird, auf das sich
wiederum alles bezieht? Wer denkt es aus?
Wer kann es fassen, daß Jeder Mittelpunkt
ist und zugleich ein Teil von dem Kreis,
der um den Mittelpunkt schwingt ?
Wie man das Ich ansehen mag, immer
widerspricht es der Vernunft — die „Ketzerei
des Ichs“ sagt der Inder — und es ist doch
unser einzig Gewisses in einem Meer von
Vorstellung, das die Außenwelt heißt.
131 9*
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Dennoch existiert auch das Ich nur durch
eine Beziehung, denn es hat seine Zentrali-
tät einzig durch das Gefühl der Gegenwart
und jeden Tag fällt es uns wie ein abgelegtes
Kleid vom Leibe. Mein gestriges Ich hat
seine Zentralität verloren und ist für mich
selber ein Stück Außenwelt geworden, es
ist wie die Toten nur Vorstellung. Seine
Handlungen wirken zwar auf mich nach,
aber das tun die Handlungen der anderen
auch, seine Freuden und Leiden berühren
mich noch, aber höchstens wie die einer
nahestehenden Person. Es ist mir in allem
noch gleich, nur in der Hauptsache nicht:
es ist nicht mehr in mir, sondern wie alle
anderen Dinge außer mir.
Das Ich ist von der Gegenwart unzer-
trennlich, was aber ist die Gegenwart?
Dieses metaphysische Ich-Bewußtsein,
das mitunter wie ein Abgrund zu unseren
Füßen auf gähnt, hat gar nichts zu tun mit
dem gewöhnlichen triebartigen Ichgefühl, das
sich im Handeln äußert, und dessen Über-
132
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SS
wuchern Selbstsucht und Eigennutz heißt.
Es ist ihm vielmehr gerade entgegengesetzt:
jenes sieht ganz naiv das Ich als das ge-
gebene an und geht, wie von einem Dämon
geführt, blindlings seinen Weg, an den
Rechten und Bedürfnissen der anderen vor-
über. Dieses stutzt vor dem Ich als vor einem
Irrtum und ist zu rücksichtsloser Verfolgung
der eigenen Wünsche ungeschickt, weil es
eine viel zu deutliche Vorstellung von den
Zuständen der anderen hat. Im fremden Ich
erkennt es oft, wie durch eine Verkleidung,
das eigene Ich, aus Worten, die ein längst
verstummter Mund vor Zeiten gesprochen
hat, treten ihm die eigenen Gedanken ent-
gegen, es fühlt das innerliche Einssein aller,
die leben, die gelebt haben und die noch
leben werden, und die eigene Person er-
scheint ihm dann plötzlich als etwas Unwirk-
liches, als ein Phantasiegebilde, als eine
Maskenrolle in einem vorüberflutenden Mas-
kenzug.
133
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AUSGLEICH. Erwarte keine Gerechtig-
keit des Geschicks für das Einzeldasein. Ge-
rechtigkeit wird walten, aber sie wird dir
als Individuum nichts mehr nützen, sie wird
d^r nützen, insofern, als du ein Teil der
Menschheit bist, denn es ist irgendwo ein un-
sichtbares Glied, das uns alle an die Zukunft
knüpft. Sind nur die christlichen Märtyrer
mutig gestorben, weil sie auf eine nahe Be-
lohnung zählten? Nein, es gab Philosophen,
die mit demselben Mut für eine Weltan-
schauung starben, von der sie keinen per-
sönlichen Lohn erhoffen konnten. In jedem,
der sich für eine Sache opfert, brennt ein
heiliges Feuer und gibt ihm die wärmende
Sicherheit, daß er durch sein Ende der
Menschheit nützt. Er nützt ihr, selbst wenn
er sich für eine falsche Sache in reinem
Glauben hingibt. Er macht Wärme frei. Wäre
die Menschheit nicht ein großes Individuum,
so wäre jeder, der sich für ein Ideal opfert,
ein Narr. Ein Narr wäre der Soldat, der für
einen dreifarbigen Zeugfetzen, die Elle zu
zwanzig Pfennigen, sein Leben läßt. Aber
wir fühlen an dem Schauer, der uns dabei
134
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über den Rücken läuft, daß er kein Narr
und daß sein Opfer nicht vergebens ist. Viel-
leicht dient es zu nichts anderem, als einen
Dichter zu entzünden, daß er durch ein herr-
liches Lied die Begeisterung weiterträgt und
so die Wärme erhält.
Der unausrottbare Idealismus der
menschlichen Natur ist der Beweis, daß die
ganze Menschheit in Vergangenheit, Gegen-
wart und Zukunft nur ein einziges Wesen ist.
ANPASSUNG. Überall wird die Rose
vom Efeu erstickt, wo sie beisammen hausen.
Wenn man zweierlei Pflanzen in einen Topf
pflanzt, so darf man sicher sein, daß die
edlere Art zu Grunde geht. Dieser alten Gärt-
nerregel gegenüber hat doch der Satz vom
Survival of the fittest ein recht wunderliches
Gesicht. Das Unkraut schafft sich immer
Platz, feinere Blumensorten bedürfen der
Pflege. Aber soll das heißen, daß der eigent-
liche Zweck der Natur das Unkraut sei?
Die Geschichte erzählt uns, und die Poe-
sie hat es zu allen Zeiten verdolmetscht,
135
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daß die edelsten Gestalten sieglos untergehen
mußten. Viele würden heute mit Achsel-
zucken sagen: Solche Naturen sind eben
nicht lebensfähig. Dabei aber leben sie doch,
überleben die Alltagsnaturen um Jahr-
tausende, der Geist, der in den schwachen,
zerbrechlichen Gehäusen wirkte, wird zu
einer Macht, die den blinden, materiellen
Gewalten die Schale hält. Das Edle ist also
doch wohl das Anpassungsfähigere, da es
sich zwar nicht seiner Umgebung, wohl aber
den Jahrtausenden anzupassen weiß.
AUS DEM HAUSHALT DER NATUR.
In der Verwaltung der Natur wird nicht jeder
begabte Mensch für alle Lebensalter gleich
gut ausgestattet. Mancher ist in den Zwan-
zigen schon völlig reif, ein reicher, glän-
zender, berückender Jüngling, und wird doch
nie ein Mann, der imponiert. Auch auf das
Äußere pflegt sich diese Einschränkung zu
erstrecken, indem es später an Stelle eines
ausgereiften Mannes nur einen älter ge-
wordenen Jüngling zeigt. Wie manches viel-
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versprechende, junge Genie wird bei seinem
frühen Tode unnützerweise heiß beweint, da
doch sein ganzes Entwicklungsfeld bereits
durchlaufen war. Es gibt auch geniale Kin-
der, die zum Frühsterben geboren werden.
Andere sind ganz eigens auf das Man-
nesalter angelegt. Das sind die unliebens-
würdigen, wortkargen Kinder, die knorrigen,
eigensinnigen, unwirschen, unfertigen jun-
gen Leute, die erst, wenn sie die Mannes-
jahre erreicht haben, die Borstenhülle ab-
werfen und verwandelt in würdiger Männlich-
keit dastehen. Ja, es soll wirklich vorgekom-
men sein, daß aus dem Zottelpelz eines
Bären, nachdem er vielen Unfug getrieben
und nur ab und zu seine höheren Züge hat
ahnen lassen, am Ende noch ein verwunsche-
ner König ausgekrochen ist.
Endlich gibt es deren, die so lange Zeit
brauchen, daß sie erst als Greise recht ge-
nießbar sind. Das sind die seltenen, herben
Spätherbstfrüchte, die noch den halben Win-
ter im Keller lagern müssen, um endlich
völlig süß und schmackhaft zu werden.
137
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SS
Weise Einrichtung der Natur, die nicht alle
Früchte für dieselbe Jahrszeit reifen läßt.
Ist es nicht, als ob in schöpferischen
Individuen eine Ahnung dämmre, auf welche
Ablaufszeit ihre Uhr konstruiert ist? Heim-
liche Stimmen, die dem einen zuraunen : Laß
dir Zeit!, dem anderen: Eile dich! Der
so Gespornte sprüht und glänzt dann immer
stärker und hilft durch die Eile, mit der
er von sich schüttelt, was er zu geben hat,
nur die Erfüllung des Geschicks beschleu-
nigen.
Aber haben nicht auch andere Menschen
gelegentlich, zum Beispiel in fieberhaften
Krankheiten, wo das wache Bewußtsein
unterbrochen ist, solches plötzliche Abtasten
der Zeitspanne, die ihnen noch gehört? Wenn
die Lampe geschüttelt wird, so fühlt man,
wieviel öl übrig ist.
n
Sobald eine begabte Nation oder Rasse
oder Familie anfängt, nur noch für den
Augenblick zu leben, ist es ein Zeichen, daß
es mit dieser Familie, dieser Rasse, dieser
138
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» i w&as&sm m.
Nation zu Ende geht. Denn alle Lebens-
stärke schafft und wirkt, auch ohne es zu
wissen, für die Zukunft und stellt das Ich
hinter die höheren Zwecke zurück. Wo der
Einzelne sich als Selbstzweck betrachtet, hört
die Weiterentwicklung auf. Mit dem be-
gabten Individuum, das aus einer hohen Tra-
dition herstammt, aber deren Pflichten nicht
mehr anerkennt, sondern sich einem schran-
kenlosen Ichgefühl hingibt, hat sich die Kraft
der Natur erschöpft, und der Niedergang
beginnt; die Nachkommen fallen in die
Masse zurück. Es ist dies aber nicht Wahl
des Schlechteren, sondern der unabweisliche
Instinkt, daß die Uhr im Ablaufen ist. Ur-
sache und Wirkung fallen ins eins zusammen.
Kreuzzüge, Geißelgenossenschaften, Ket-
zerverfolgungen, Aufklärung, französische
Revolution und roter Schrecken. — Der Welt-
geist ist wie einer, der eine schwere Last trägt
und sie immer von einer Schulter auf die
andere wirft, ohne sie abwälzen zu können.
«
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Napoleonische Soldaten, von ihm über
den geschwollenen Dniepr kommandiert, wer-
den fortgerissen, und im Ertrinken suchen
sie noch einmal den Mund über Wasser zu
bringen und rufen: Vive l’empereur! Dunkler,
seltsamer Seelenvorgang, der gegen das phy-
sische Gesetz der Selbsterhaltung zu streiten
scheint, denn die Energie, die sie zum
Schreien brauchen, wird von ihrem letzten
Widerstand gegen das Wasser abgezogen.
Und doch ist es, glaube ich, nur eine höhere,
geistigere Form des Selbsterhaltungstriebes.
Das Bewußtsein will sich noch einmal be-
tätigen, ehe es untergeht. Es klammert sich
an diesen Ruf, der ihm sein ganzes Streben
ausdrückt, wie an eine Planke, die es noch
einen Augenblick über Wasser hält.
Was ist die Heiterkeit des Alters und
seine Resignation dem Leben gegenüber?
Werden nicht auch die Träume leichter,
wenn es dem natürlichen Aufwachen zu-
geht, und schleicht sich nicht um die Däm-
140
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merstunde zuweilen schon eine Ahnung von
ihrer Unwirklichkeit ein?
ROMANTIK IN DER NATUR. In den
Wolkenbildern ziehen die Träume des Erd-
geists sichtbar vorüber. Auch er kann, wie
der Mensch, nur Formen träumen, die er
schon gesehen hat. Bergzüge, Kastelle, kämp-
fende Reiterscharen, Frauen in wehenden
Gewändern, menschliche Profile — so por-
träthaft, daß man weiß, sie müssen einmal
gelebt haben — Affen, Giraffen, Kamele, Kro-
kodile und Meerscheusäler. Auch die in der
Urzeit gesehenen Ichtyosauren und Ptero-
daktylen kommen ihm im Traume wieder
mit allen Gestalten, die sind und waren.
Aber nicht nur den Wolken, auch allen
Zufallsgebilden gibt er im traumhaften Ge-
staltungstrieb solche spielerische Formen.
An verwitterten Baumstämmen versucht er
sich als Bildschnitzer. Die vom Meere zer-
riebenen Holzsplitter zertrümmerter Schiffe
formt er in artiges Kinderspielzeug; sauber
modellierte Fische und Vögel, Eulen, die
Mi
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SB
in Baumstämmen hocken usw. Und so sinn-
voll geht er dabei zu Werk, daß er gern die
Augen im Holze stehen läßt, um sie zu
Tieraugen zu verwenden. Alles in der Natur
strebt zur Form, auch das unorganische und
desorganisierte; weil es keine zweckmäßige
Form mehr haben kann, hüllt es sich in eine
nachgeahmte, spielhafte. Ist das nicht die
reine Bildfreude der Natur? Und dabei
kommt nie eine neue Form heraus, es sind
stets die alten, die wir schon kennen, launen-
haft zusammengestellt. Das ist die Romantik
in der Natur, die auch ihr Recht will.
142
1
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VON DER
SPRACHE I
i
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Der Dichter hat seherische Kräfte, schon
weil er mehr als jeder andere über die Kräfte
der Sprache verfügt, die an sich die größte
Seherin ist.
**
Die Sprache, die wir als unsere Dienerin
brauchen, ist viel weiser als wir. Unauf-
hörlich raunt sie uns Geheimnisse zu, die
wir nicht verstehen. Was der Verstand er-
grübelt, was die Entwicklung ans Licht
bringt, hat die Sprache längst vorausgesagt,
nur sagte sie es tauben Ohren. Ihre Orakel-
sprüche werden erst verstanden, wenn die
Erfüllung eingetreten ist.
Die tiefsten Seherkräfte scheint die alte
Sprachenmutter Sanskrit zu besitzen, wenn
man den Bramanen glauben darf, die ver-
sichern, daß noch niemals die Worte der
Veden in ihren tief inneren Bezügen und
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Spiegelungen von einem Abendländer richtig
verstanden worden seien.
Ein philosophischer Geist waltet durch-
weg auch in unserer Muttersprache. Wie be-
zeichnend ist die Wandlung des Wortes
„feige“, das im Mittelhochdeutschen den zum
Tode Reifen bedeutete, in seinen heutigen
Begriff. Die Sprache schloß von der Wir-
kung auf die Ursache und scheint uns sagen
zu wollen, daß den Tapferen die Götter schir-
men. Daß „Elend“ einst nichts anderes war,
als Verbannung, wer denkt noch daran, seit
die Erde eine große Heimat geworden ist,
die alle schützt? Das Wort müßte uns er-
innern, daß das Elend heute keine vom Staat
verhängte, sondern eine selbst gewollte Strafe
ist. Und noch so manches andere geben uns
die Worte zu denken. Einst war „Wunsch“
die höchste Glücks e rf üll u ng, die Wonne
selbst. Das Wunschland war unseren Alten
das Land der Seligen, ihr oberster Gott führte
selber den Beinamen des Wunsches. Aber
seit die Sprache älter geworden ist und nicht
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s^ss®
mehr an Märchen glaubt, hat der selige
„Wunsk“ sich des Besitzes entschlagen
müssen und lebt jetzt nur noch in der Sehn-
sucht. Das Wesenhafte hat sich aus ihm
verflüchtigt zum Zeichen, daß die höchste
Existenz des Glückes im Wunsche sei.
Es gibt unserer Muttersprache einen tie-
fen und eigenen Zauber, daß so oft in einem
Wort mehrere Bedeutungsschichten über
einander liegen, die ein feineres Ohr, auch
ohne sprachkundig zu sein, noch durchhören
kann. Selbst in Kinderohren klingt, wenn
sie ein solches Wort zum ersten Mal hören,
noch ein Stück von seiner Vergangenheit
mit herein und läßt das Wort als etwas ge-
heimnisvoll Lebendiges erscheinen. Und
auch durch ihre inneren Beziehungen und
Verwandtschaften spiegeln sie einen tieferen
Sinn, als sie aussprechen können, daß oft
in einem angeschlagenen Tone der ganze Ak-
kord mitklingt.
147
10 "
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Darum ist unsere Sprache so ahnungs-
reich in der Poesie und kann oft mit so wenig
Mitteln wirken, wenn sie auch an rein melo-
dischem Reiz hinter anderen Sprachen zu-
rücksteht.
Ein seltsames Phänomen! Der sprach-
liche Ausdruck verroht in allen Ländern,
während die Sitte sich verfeinert. Das gilt
auch von der feinsten, der italienischen. Im
Quattrocento sagte man „mi saetta“, jetzt sagt
man „mi colpisce“, in hundert Jahren sagt
man vielleicht „mi ammazza“, um auszu-
drücken, daß eine Sache unsere Aufmerksam-
keit erregt.
W
Guter Stil beruht auf einem reinen
und tiefen Wahrheitsgefühl. Hinter allem
schlechten Stil steckt immer eine gewisse
Verlogenheit oder wenigstens Wahrheits-
scheu. Selbst die unsichere Behandlung der
Temporalformen bei der Mehrzahl der heuti-
gen Schriftsteller hat keinen anderen Grund.
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gg£\SY>
Alle die zur Feder als ihrem Handwerks-
zeug greifen, sollten zuvor ein Ordensge-
lübde auf Reinheit und Treue der Sprache
ablegen müssen, bei dessen Verletzung sie
des Rechtes zu schreiben verlustig gingen.
Wenn unsere Schriftsteller, Journalisten,
Redner noch eine Weile so fortfahren, wie
bisher, so werden die späteren Geschlechter
das Material, aus dem sie ihre geistige Welt
aufbauen sollen, gänzlich entwertet vor-
finden, und sie werden vielleicht zur Schande
ihrer Vorfahren, die ihr edelstes Erbgut ver-
schleudert haben, zu einer fremden Sprache
greifen müssen, um klare und tiefe Gedanken
auszudrücken.
Es ist ein Fluch der Affektation, daß
sie die Schwachen zur Nachahmung reizt.
Hat ein begabter Mensch eine Grimasse
an sich, so steckt er gewiß seine Umgebung
damit an, und ein temperamentvoller Schrift-
steller, der eine stark ausgesprochene Manier
im Schreiben hat, kann ein ganzes Zeitalter
mit Manierismus durchseuchen. Das ist ein
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Feld, wo jeder seinen Charakter üben kann,
indem er sich dem Weitergreifen der Un-
natur widersetzt.
„Ja, wenn die Gesundheit ansteckend
wäre, wie die Krankheit!“ entgegnen die
Gleichgültigen.
Auch die Gesundheit ist ansteckend,
zweifelt nicht daran, nur daß sie sich viel,
viel langsamer verbreitet. Die reichen Eng-
länder wissen es, die, um sich von nervöser
Schwäche zu heilen, einen „strong man“ zur
Gesellschaft nehmen, aus dessen Anblick sie
Kräfte ziehen.
Sollte nicht auch der geistig Starke und
Gesunde fähig sein, den schwächeren Zeit-
genossen diesen Dienst zu leisten?
Unsere Kultursprachen sind alle keine
vollwertige Münze mehr. Kein Wort hat
für unser Ohr den ursprünglichen Klang,
der gleich das frische Bild vor die Augen
zaubert ; es ist schon viel zu viel damit
gelogen, geheuchelt, geflunkert worden.
150
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Deshalb hat man auch keine richtige Vor-
stellung von dem, was die Poesie der
Griechen war. Wenn wir zum Beispiel
„Rose“ sagen, so taucht mit dem Bild der
Blume auch schon dunkel die Erinnerung
an all den sentimentalen Mißbrauch auf, der
unempfundenerweise mit dem Namen getrie-
ben worden ist, und macht das lebendige Bild
der Blume blässer. Wie muß die Rose ge-
leuchtet und geduftet haben, weit über alle
Wirklichkeit hinaus, wie muß sich zu dem
Leuchten und Duften noch ein magisches
Klingen gesellt haben, als sie zum ersten
Mal in verklärter Schönheit von Dichterlippen
fiel. All dieses Leuchten, Klingen und Duf-
ten ist ihr verloren gegangen, seitdem ihr
Name durch hunderttausende von Dichter-
lingen aller Nationen zur hohlen Metapher
geworden ist. Es braucht die stärkste Vision
des Dichters, damit ich von seiner Rose
sagen kann: Dies ist die wahre Rose —
und von seiner Nachtigall: Ja, dieser Vogel
singt wirklich in seiner Seele.
Mit Worten, die etwas Abstraktes dem
Stofflichen entnehmen, sieht es natürlich
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noch viel schlimmer aus, weil das Stoffliche
aus dem Worte geschwunden ist und nur
der leere Begriff zurückgeblieben, der, seit
seine konkrete Herkunft vergessen ist, sich
die mißbräuchlichsten und sinnlosesten An-
wendungen gefallen lassen muß.
Jeden echten Dichter treibt seine Wahr-
heitsliebe und seine starke sinnliche Vor-
stellungskraft, dem Wort seinen Vollgehalt
zu bewahren. Aber sein weißes Unschulds-
kleid gibt ihm auch der Größte nicht zurück.
Es müßten sämtliche Kultursprachen unter-
gegangen sein und neue, jungfräuliche
Sprachen aus dem Chaos heraufgestiegen,
ehe eine neue Jugendherrlichkeit, wie sie
einst die homerischen Gesänge besaßen, die
Welt entzücken könnte.
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AM FEIERABEND. Die Seele eines
Volks erlauscht man an seinen Feier-
abenden. Wenn ich unsere deutschen Bauern
des Abends im schwach erhellten Biergarten
singend beisammen sitzen sehe, so muß ich
am Zaune stehen bleiben und horchen. Die
heiseren, ungeschickten Stimmen sind nicht
in der Gewalt der Sänger und geben häufig
falsche Töne von sich, aber der Wille ist
so rührend gut. Und es klingt etwas Tief-
klagendes heraus, wie ein Naturlaut der
schmerzlichsten Sehnsucht, von dem die
braven, biertrinkenden und auf ihre Art ver-
gnügten Leute selbst nichts wissen. Sie sind
nur das rauhe, schlecht gestimmte Instrument,
auf dem der Genius des deutschen Volkes
seine tiefe, unstillbare Sehnsucht nach dem
Schönen klagt. Ich höre die alten, geliebten
Volkslieder wieder, die so kunstlos aus dem
Mutterboden der Poesie gestiegen sind. Aber
wie werden sie gesungen ? Das wimmert und
klagt in lang gezogenen Lauten, das stöhnt
155
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tMSsSfl
und schmachtet, wie nach einem Strahl von
Schönheit. Meint man nicht den tauben Bee-
thoven zu sehen, wie er einem alten, ver-
stimmten Klavier mit seligem Lächeln, das
nach innen lauscht, ein ohrenzerreißendes
Konzert entlockt?
Ich aber denke an die florentinischen
Sternennächte und an die Schwärme junger
Leute, die eilenden Fußes mit ihren Mando-
linen und Guitarren durch die Straßen ziehen
und unermüdlich singen, singen mit Stim-
men, die niemals fehlgehen, die so voll, so
klar, so sicher sind, wie der Genius Italiens.
Wie taktfest ist ihr Gesang, ihre Töne wie
mühelos, wie adlig frei, ganz vom am Rand
der Lippen geboren. Und mit diesen wunder-
vollen Stimmen, in diesen goldklaren Tönen
singen sie die banalsten Operettenarien, ganz
ohne Empfindung für den überirdischen
Glanz ihrer Gestirne droben. O arme
deutsche Volksseele, wenn dir ein solches
Instrument gehorchte, du würdest dein
Inneres darauf ausströmen in einem Ge-
sänge, wie ihn die Welt noch nicht ver-
nommen hat.
156
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Aber so gut soll es dir nicht werden.
Das Bier und deine eigene Schwere binden
dich mit eisernen Reifen. In den Gärten
trinken, kegeln und taumeln sie. Wie der
Abend vorrückt, wird ihr Gesang zum Ge-
heul, zum Gebrüll, so wild und so tief melan-
cholisch zugleich, wie von einem eingesperr-
ten Dämon, der sich nutzlos quält, seine
Bande zu sprengen. Und Entsetzen jagt die
Lauscherin von hinnen.
W
UNSERE MÄRCHEN. Das echte deut-
sche Märchen hat prophetische Züge und
ist völlig elementarer Natur. Es ist ja auch
kein Produkt der Kunst, sondern aus dem
Trümmerfall unserer alten Mythen, unserer
alten Religion hervorgegangen. Bei keinem
anderen Volke haben sich die entthronten,
aber immer noch mächtigen Götter zu Spiel-
kameraden der Kindheit hergegeben. Das
goldene Spielzeug, womit sie spielen, das
sind Allvaters uralte, zerbrochene Runen-
tafeln, worin seine Weltgedanken einge-
graben stehen, jene Tafeln, deren Wieder-
finden am neuen Weltenmorgen die Edda
*57
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verheißt. Das deutsche Märchen ist das Ida-
feld, auf dem die verkündigte Wiederkehr
der alten Götter und ihr friedliches Beisam-
menwohnen in Erfüllung gegangen ist.
„Wohl ist den Wahlgöttem, wißt ihr da-
von ?“
Auch wer es nicht weiß, fühlt an dem
freudigen Ehrfurchtsschauer, der ihn durch-
läuft, daß hinter diesen Gestalten Wesen
höherer Art sich bergen. Darum hat auch
das deutsche Märchen, wie die Märchen
keiner anderen Nation, einen tief ethischen
Gehalt, es weist immer nach einer höheren
Gerechtigkeit. Der unschuldige Kindersinn
bleibt Sieger, und fast immer behält der
Dumme, kraft einer höheren Vernunft, dem
Schlauen gegenüber Recht. Es predigt ja
sogar, und mit tausend Zungen, das Recht
und den Wert der Tiere und reicht da-
durch in eine noch höhere Ethik der Zu-
kunft herüber. Hier fällt schon ein Strahl
der allumfassenden, indischen Humanität her-
ein, die auch das Tier in ihr „das bist du“
einschließt.
Merkwürdig ist, wie unser Märchen
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diesen ethischen Goldgehalt verliert, sobald
es sich auf fremdem Boden einbürgert. In
Sizilien zum Beispiel sind die schönsten
deutschen Märchen so unbefangen zu Hause,
als ob sie dort gewachsen wären, aber sie
sind reines Spiel der Phantasie oder sym-
bolisiertes reales Leben geworden. Die Mo-
ral hat sich völlig umgekehrt: dem Schlauen
gehört die Welt, und wer sich überlisten
läßt, der hat es nicht besser verdient. Der
Genius der lateinischen Völker ärgert sich
nämlich über den Unklugen, den Tölpel, der
die Gottesgabe seiner fünf Sinne nicht richtig
zu benutzen versteht, und gibt ihn scho-
nungslos dem Verderben preis. Das ist
seine poetische Gerechtigkeit.
DER KAMPF UM DIE FORM. Gegen
die wieder ausbrechende Deutschtümelei in
der Literatur und Kritik, die alles Streben
nach der Kultur des Südens als antipatrio-
tisch verschreit und auch Goethe nur bis zu
seiner italienischen Reise gelten lassen will,
sollte man immer daran erinnern, daß der
Zug nach dem Süden, dem Lande der Form,
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ein nationaler Zug ist. Im Gothen, im
Hohenstaufischen Kaiserhaus, überhaupt im-
mer, wenn der Deutsche sich regen konnte,
wurde dieser Trieb zur Tat. Das hellenisch-
römische Formgefühl gewinnen, es mit dem
tiefen, prophetischen Geiste des Germanen-
tums durchdringen, das istjund bleibt die Kul-
turaufgabe der Deutschen.
„Aber du willst uns zu Griechen machen,
du vergißt ganz, daß wir von Natur formlos
und nebelhaft sind.“ — Wie könnte ich das
vergessen ! Aber seine eigenen Mängel kulti-
vieren, kann das die Aufgabe einer Kultur
sein ?
*»
AM ABEND EINER KULTUR. Je aus-
geglichener eine Kultur, desto weniger diffe-
renziert sie sich mehr in ihren Individuen.
Sie gleicht einem ruhigen Abendlicht, das die
Gegensätze aufhebt. Das heutige Italien hat
keine ganz überragenden Persönlichkeiten
mehr aufzuweisen, weil Geist, Talent und
Bildung schon zu gleichmäßig in der Nation
verteilt sind. Bei dieser Austeilung fällt
keinem einzelnen mehr eine so große Masse
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von Talent und Tüchtigkeit zu, daß er sich
gegen Hunderttausende in die Wagschale
werfen könnte. Das Volk ist hochmusika-
lisch und bringt doch keine Titanen der
Musik hervor. Es lebt in einem Element
von Poesie, die ihm als unmittelbare Emp-
findung und als naive Bildersprache von
selber zufließt, und hat seit Jahrhunderten
kein Dichtergestim erster Größe gehabt.
Bei uns ist das Volk unmusikalisch und
unpoetisch, so kamen wir zu einem Goethe,
einem Beethoven, und noch immer kann von
Zeit zu Zeit einer aufstehen, der die ganze
Musik, die ganze Poesie an sich rafft, während
die Menge um ihn her arm bleibt.
9?
TYPEN UND INDIVIDUEN. Italien ist
das Land der Typen. Der ursprüngliche
Mensch, der an keine Zeit und keinen Stand
geknüpfte, stirbt dort nicht aus. Deshalb
liefert dieses Land den Dichtem wie den
Künstlern die vollkommensten Modelle. Nir-
gends wird die Sprache der Leidenschaft
natürlicher gesprochen, alles ist tief, satt und
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einfach, und diese erdgeborene Menschlich-
keit ist der Untergrund aller Kunst. So muß
ja auch der Bildhauer den nackten Körper
aufs genaueste kennen, selbst wenn er den
bekleideten darstellen will.
In Deutschland ist alles komplizierter und
farbloser. Die Stände haben den Menschen
verdrängt. Zwar ist der Abgrund zwischen
den Ständen äußerlich gar nicht so breit,
wie in Italien: die Form der Anrede ist die-
selbe, und die materiellen Ansprüche gleichen
sich immer mehr aus. Aber in der Tiefe
klafft der Riß am weitesten. Jeder Stand
ist durch ein ganz verschiedenes Seelenleben
von den anderen getrennt, und die gebildete
Klasse hat noch überdies in jedem Jahrzehnt
eine neue Physiognomie, die ihr die jeweilige
Geistesmode aufdrückt. Nun gibt es freilich
innerhalb dieser Schranken die stark ent-
wickelten, hochkomplizierten Individualitä-
ten, von denen man in Italien kaum eine Ah-
nung hat. Aber die einfache Grundform des
Menschen ist ausgestorben.
Was im Deutschen ein Original heißt,
das nennt der Italiener „un tipo“. Die Sprache
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verrät hier das Geheimnis einer Schattierung,
die dem Geiste nicht bewußt ist. In Italien
strebt alles zum allgemeinen. Zwar wird viel-
leicht nirgends der Standesunterschied äußer-
lich mehr respektiert, der Vornehme dutzt
den Geringen, der diese patriarchalische
Form ganz natürlich findet. Dabei wissen sie
aber beide: der Unterschied ist etwas rein
Äußerliches, im Fühlen, Denken, Handeln
sind sie gleich, sind eben Menschen. Der Ab-
stand der Bildung, der in Deutschland so viel
Gehässigkeit erregt, kommt dem gemeinen
Mann in Italien gar nicht zum Bewußtsein,
er kennt nur den Unterschied zwischen dem
Besitzenden und dem Nichtbesitzenden, den
ein Lottogewinnstüber Nacht aufheben kann.
DER GENIUS DER LATEINISCHEN
RASSE. Der lateinische Genius ist ein so
einfacher und zugleich so wundervoller Me-
chanismus. Er muß uns Germanen immer
aufs neue entzücken, wenngleich sein Zeug
nicht überall ausreicht. Denn dieser feine,
rasche, sonnenhelle Geist hat keinen Zugang
163 11*
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zu den geheimnisvollen, unterirdischen Ge-
wölben, auf denen unsere große Kunst ruht:
ein Beethoven konnte nur ein Deutscher sein.
Unendliche Gebiete bleiben dem Romanen
verschlossen: das Helldunkel der Empfin-
dungen und der rätselhafte metaphysische
Untergrund der Dinge, das Reich der „Müt-
ter“. Wenn wir da ankommen, lassen unsere
italienischen Freunde uns allein gehen, sie
fürchten sich wie Kinder vor dunklen
Kammern.
Die festen Schranken der Erde sind ihnen
zu lieb. Es ergreift sie ein schreckhaftes
Gefühl, wenn sie uns nach dem grenzen-
losen Raume steuern sehen, es ist ihnen,
als müßten wir ins Leere stürzen, als sollten
sie uns an den Kleidern festhalten.
*¥
Respekt vor der Form ist die Stärke des
lateinischen Geistes und seine Schwäche zu-
gleich. Die italienische Renaissance hatte aus
der katholischen Kirche ihre innerste Seele
herausgeblasen, die leergewordene Schale an-
zutasten, fiel ihr niemals ein. Nicht nur die
heidnisch gesinnten Weltkinder respektieren
164
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sie, auch der glühende Asket Savonarola
wagte nicht, die letzte Konsequenz seiner
reformatorischen Ideen zu ziehen; nur die
Personen griff er an, nicht das System. Die
festgefügte, überkommene Form hielt ihn in
unentrinnbarem Bann, und ein abergläubi-
scher Schauder riß ihn auf die Knie, als
es ein Anrennen gegen den tausendjährigen
Bau gegolten hätte.
Dazu brauchte es den harten Schädel
eines deutschen Mönchs, der ein naives Na-
turkind war, auch Wein, Weib und Gesang
nicht verschmähte und ohne Furcht vor
Überkommenem die Welt aus den Angeln
hob.
r*
DAS HELLENISCHE IM ITALIENER.
Das persönliche Auftreten der Griechen kann
man sich nur durch die Italiener leibhaft vor-
stellen. Wie Perikies vor allem Volk weinte,
als er die Aspasia verteidigte, davon gibt
nur der italienische Volksredner noch einen
Begriff. Sich selber spielen wird bei allen
anderen Völkern zur Unnatur, und besonders
165
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der Germane tut wohl daran, seine Emp-
findungen nur erraten zu lassen. Einzig der
Italiener besitzt noch von Natur die starke
Geste, die den Affekt ganz unmittelbar und
mit höchster Würde ausdrückt.
KULTURMISSION DER RÖMER. Man
schelte mir nicht die Römer. Ohne ihr Welt-
reich wäre keine der heutigen Kultumationen.
Das Griechentum brachte den Samen aller
Kultur hervor, aber es hatte nicht die Kraft,
ihn weit genug zu verbreiten. Dann kamen
die Römer wie ein Sturmwind und trugen
ihn über die ganze Erde. Freilich wußten
sie nicht, was und weshalb sie es taten.
Wenn die Weltgeschichte einem ein Amt
gibt, so teilt sie ihm nicht zugleich ihre ge-
heimen Absichten mit. Deshalb schelte man
mir doch die Römer nicht.
DIE RUSSEN. Unter den heutigen Lite-
raturen ist nur die russische völlig boden-
wüchsig, weil sie unter ganz eigenen Lebens-
bedingungen steht. Das russische Volk hat
x66
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keinen Teil an dem großen Kulturerbe der
westlichen Völker, es ist nicht einmal unser
Zeitgenosse.
Ein Stiefkind der Sonne, steht es zwischen
zwei unerbittliche Mächte eingeklemmt : eine
Natur voll Schrecken und eine unentrinnbare,
ebenso grausame wie korrupte Staatsgewalt.
Die Kunst, die uns Prometheuskindern
das Dasein erhellt, hat nie in das ihrige ge-
leuchtet. Nichts kann den Druck von ihnen
nehmen, als zeitweiliges Vergessen durch be-
rauschendes Getränk. Nie hat der Gedanke,
der Titanensohn, in ihnen sein trotziges
Haupt erhoben und in die Sterne gegriffen.
Den gewaltigen Stolz der Menschheit, unser
Prometheuserbe, kennen sie nicht. Einsam
und wild und dumpf und traurig, schon zu
Lebzeiten der Scholle pflichtig, die sie ein-
mal aufnehmen wird, wandeln sie über ihrem
Grabe. Sie sind Kinder des Fatums. Und
eben weil sie der Natur unweigerlich an-
gehören, deshalb vernehmen sie ihre Stimme
unmittelbarer und eindringlicher und haben
plötzliche Offenbarungen, wie kein anderes
Volk sie haben kann. Seltsam ergreifend,
167
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fremd und todestraurig sehen ihre besten
Werke uns an.
*9
DIE INTERPUNKTIONEN. Die Inter-
punktionen sind kleine, höchst charakteristi-
sche Merkmale für den Geist eines Volkes.
Der Germane setzt sie bei den logischen,
der Romane bei den rhetorischen Einschnit-
ten So unterscheiden sich gleich die Denker-
und die Rednervölker. Nichts ist schwieriger
an einer fremden Sprache zu erlernen, als
die Interpunktion, es heißt, dabei aus der
eigenen Seele heraus in die Seele einer
fremden Rasse fahren. Der Franzose, der
Italiener stellt gewiß sein Komma immer da-
hin, wohin wir es nicht stellen möchten.
Sein Absetzen bedeutet eine kleine Pause
zur vermehrten Eindringlichkeit und oratori-
schen Wirksamkeit, das unsrige bedeutet eine
gedankliche Gliederung.
UMGANGSFORMEN. Je mehr natür-
liches Formgefühl einer Nation innewohnt,
168
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desto weniger bedarf sie der Formalität und
Etikette. Aus den Umgangsformen, die den
südlichen Völkern wie ein leichtfließendes
und anmutiges Gewand am Leibe sitzen,
haben die nordischen einen starren Panzer
gemacht, der sie an jeder natürlichen Be-
wegung hemmt.
DER MENSCH UND DIE LAND-
SCHAFT. Die deutsche Landschaft haucht
eine Innigkeit und zärtliche Wehmut aus,
die sich bis zur Zudringlichkeit ein-
schmeichelt und das Gemüt verwöhnt. Sie
trauert mit dem Trauernden, aber wie alle
Mitleidigen steigert sie den Kummer, statt
ihn zu heben. — In Italien ruht die Natur
wie eingeschlossen in ihrer eigenen Schön-
heit, sie lächelt göttlich unbekümmert und
weist die Vertraulichkeit des Menschen zu-
rück. Ein Betrübter kann ihr sein Leid nicht
klagen, weil sie ihn gar nicht anhört, so ge-
wöhnt sie ihm allmählich durch ihr sonniges
Lächeln die Schwermut ab. Wenn sie Stim-
mung ausdrückt, so ist es eine erhabene,
169
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SH
feierliche. Römische Cypressen steigen über
den Trümmern einer untergegangenen Welt
wie ein Requiem zum Himmel auf und
heißen alle persönliche Empfindsamkeit
schweigen.
Die italienische Luft hat dieselbe Eigen-
schaft wie Glas und Wasser: sie verschönt
die Gegenstände, sie reinigt, sie idealisiert.
Zugleich gibt sie ihnen eine körperlose Un-
wirklichkeit, die nur das Auge anregt und
das Gemüt völlig stille läßt.
**
Die Jahrhunderte der hohen Kultur haben
auch an der geistigen Physiognomie der
italienischen Landschaft gearbeitet. Die
schönen Linien der Hügel mit den sanft an-
steigenden Cypressenreihen, den glücklich
verteilten Piniengruppen und den Land-
häusern, die aus der Formation des Terrains
organisch herausgewachsen scheinen, haben
etwas Vergeistigtes, wie ein schönes Gesicht,
170
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das durch reiche innere Erlebnisse ver-
edelt ist.
Sobald man den italienischen Boden be-
tritt, fühlt man sich vornehmer; es ist, als
sei eine Standeserhöhung mit uns vorgegan-
gen. Wie genießt man schon das aristokra-
tische Glück der großen Räume, der Treppen
und Hallen. Sich nicht im Raum beschränkt
sehen ist ein adliges Vorrecht. Selbst der
Bettler, der auf den breiten Stufen, den mäch-
tigen Bänken der alten Palazzi lungert, hat
daran Teil, wie an all den schönen Dingen,
die man genießt, ohne dafür zu zahlen; es
gibt ihm seine königliche Haltung. Auch
das Klima trägt zu diesem Gefühl des Stol-
zes bei : man bringt nicht so oft durchweichte,
schmutzige Kleider nach Hause, man fühlt
sich nicht durch schwere Klumpen Kot an
den Stiefeln erschöpft und degradiert.
•s
171
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❖ VOM o
GENIUS
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Der Genius wandelt, wie die Gottheit,
unsichtbar auf Erden. Auch der stumpfste
Philister kennt augenblicklich das Talent, wo
es ihm entgegentritt, mit dem Genie aber
könnte er, wie im Märchen der Schwabe
mit dem lieben Gott, auf die längste Wander-
schaft ziehen, ohne zu bemerken, wen er
neben sich hat. Nur insofern, als dem Genie
auch noch ein sehr großes Talent eigen ist,
erobert es sich dennoch seinen Platz, wird
aber dann mit anderen Talenten beständig
verwechselt und höchstens gradweise von
ihnen unterschieden. Der Genius selber
bleibt nach wie vor unerkannt, ihn zu er-
kennen hat der Alltagsmensch überhaupt
kein Organ. Nur so kann man sich die un-
geheuerlichen Nebeneinanderstellungen er-
klären, denen man täglich im Munde von
„sehr gebildeten Leuten“ begegnet.
**
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Das Genie zeigt sich nicht im Ausdenken
des Unerhörten, nie Dagewesenen, sondern
daran, daß das Alte, Abgeblaßte, von ihm be-
rührt, auf einmal wieder ganz frisch und
neu wird.
Kennzeichen des Genies ist sein unwider-
stehlicher Wahrheitsdrang. Es ist wahr, weil
es gar nicht anders kann, weil sein ganzes
Sein im Anschauen der Grundwahrheiten be-
steht. Alles Flunkern, Vertuschen, Aus-
weichen ist ihm seiner Natur nach unmög-
lich. Sobald ein Künstler, und sei er noch
so begabt, dem äußeren Effekt eine der
ewigen Wahrheiten opfert, hat er sich selber
ein untrügliches Rangzeugnis ausgestellt.
Genialität ist ein besonderes, angeborenes
Verhältnis zur Natur, wodurch ein Sterb-
licher die kürzesten Wege zu ihr findet. Es
ist zunächst nur ein Zustand, der auch latent
bleiben kann und es oft genug bleibt, denn
er ist gar nicht immer mit einem starken
176
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Schaffenstrieb gepaart, und es könnte sehr
wohl einen genialen Dichter geben, der sich
sein Leben lang mit dem Lauschen auf die
inneren Stimmen begnügt und nur zuweilen
in seinem Entzücken ein paar Worte nach-
gestammelt hätte, ohne sich dem Zwang des
wirklichen Schaffens zu unterziehen. Von
dieser Art sind vielleicht die Dichter unserer
schönsten Volkslieder gewesen.
Andererseits bringt auch der Genius, der
vom größten Schaffenstrieb beseelt ist, nicht
immer ein Geniewerk hervor. Was man ganz
eigentlich so nennt, das sind jene Werke,
deren Guß so rasch, so feurig, so einig ist,
daß ihre Fehler nicht auszumerzen sind, weil
sie mit dem Besten darin ein untrennbares
Ganzes bilden. Um sie zu schaffen, bedarf
er eines Stoffes, der sich seiner mit Gewalt
bemächtigt und eines besonders günstigen
Planetenstandes, durch den von allen Seiten
unsichtbare Mitschöpfer heranschießen, denn
dem Geniewerk hängt immer etwas Dämoni-
sches an. Derselbe Dichter schafft zu einer
anderen, minder schicksalsvollen Stunde ein
anderes Werk, das vielleicht als Arbeit voll-
177 ia
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kommener ist, weil er es überlegt und durch-
gefeilt hat, das aber nicht mit diesem höch-
sten Stempel gezeichnet ist. Das Geniewerk
kennt man an dem unwiderstehlichen Glanz,
den es noch nach Jahrhunderten ausströmt.
Die Früchte der Glücksstunde sind, wie
Kinder der Liebe, schöner, stärker, eigen-
williger, erregen mehr Bewunderung und
Tadel und werden von den Erzeugern mehr
geliebt, als die Kinder, die aus ihrem täg-
lichen Verkehr mit der Muse entsprossen
sind. ^
Der Witz, der der gerade Widerpart der
Poesie ist, hat das mit ihr gemein, daß er
zuweilen Eingebungen beschert, die über den
Horizont des Individuums gehen. Es können
sogar aus dem Munde von Kindern mark-
erschütternde Witze kommen, von deren
Tragweite diese nichts ahnen. Sie stehen
mit unschuldigem Lächeln da, während der
schlimmste Kobold aus ihnen herausredet.
Also ist auch der Witz keine bloße Talent-
sache, sondern gehört der Sphäre des Dämo-
nischen, oder Genialen an, wie man es nennen
will. ^
178
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Um das Schöne zu schaffen, muß man
das Wahre kennen.
W
Der Prozeß des dichterischen Schaffens
ist keine Handlung, sondern ein Vorgang.
Der Dichter kann mit seinem Willen nichts
dabei tun, als äußerliche Hindernisse weg-
räumen. Die Phantasie trägt ihn ohne sein
Zutun in ihre Lande, sein Verstand hat dabei
kein anderes Geschäft, als hie und da den
Radschuh zu brauchen. Der Genius, der un-
bewußte, lenkt den Wagen; stört man ihn,
so entflieht er, und will man den Wagen
ohne ihn weiter führen, so kommen kleine
Kobolde und führen ihn in den Sumpf. Das
sind die eigentlichen Verstandesgeisterchen,
die in diesem Reviere nichts zu suchen
haben.
??
x8i
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Der Dichter kommt mit dem ganzen Er-
fahrungsschatz der Menschheit zur Welt.
Das schaffende Prinzip ist immer das-
selbe, ob es sich über die ganze Erde aus-
breitet oder sich zu einem kleinen Punkt
zusammenzieht. So auch der Dichter. Ob
sein Stoff groß oder klein, tut nichts zur
Sache, es fragt sich nur, ob im Kleinen das
Große enthalten ist. Die Einheit der Dinge
muß durchscheinen.
Die schönen Dinge liegen mehr an der
Oberfläche, als man glauben sollte. Es
braucht die feine und leichte Hand der
Glücksstunde, um sie zu heben. Bei zu
großer Mühe gräbt man leicht zu tief und
bohrt eine falsche Schicht an.
Poetische Wahrheit ist die unwillkürliche
Auslese und Verschmelzung vieler Wirklich-
keiten mittels der Phantasie.
**
182
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Jeder Stoff, der von der Poesie berührt
wird, verwandelt sich aus dem Einmaligen
ins Absolute. Die Todtenklage, die dem ge-
schiedenen Freund gedichtet wurde, gilt be-
reits dem Freund nicht mehr, sondern allen
Gestorbenen und allen, die noch sterben wer-
den. Daher die Allgültigkeit und Allverständ-
lichkeit der Poesie. Aber das Individuelle
muß die Wurzel sein, aus der das Typische
herauswächst, sonst erscheint das ganze Ge-
wächse als ein künstliches.
r*
Alles Erlebte ist so vieldeutig, daß dem
Dichter sein eigenes Lebensschicksal genügt,
um alle erdenklichen Lebensgeschicke dar-
aus zu formen.
Aber nicht auf die Menge der äußeren
Ereignisse kommt es an, sondern was einer
innerlich davon aufnimmt. Es gibt Leute,
die essen und immer essen, aber es schlägt
nicht an, sie bleiben dabei spindeldürr. Eben-
so ist es mit der Psyche auch. Es kann einer
die Erde umschiffen, um etwas zu erleben,
und doch mit leeren Händen zurückkommen,
183
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wenn ein anderer einen Spaziergang über die
Hügel macht und neue Welten nach Hause
bringt.
Der Dilettant steigert sich gern in eine
dumpfe Begeisterung hinein und springt
kopfüber in die Wogen der Sprache, ohne
einen Schwimmgürtel mitzunehmen, der ihn
über Wasser hielte.
**
Immer spricht der Dilettant den Künstler
als Bruder an. Der Künstler mag sich dies
ruhig gefallen lassen — er hat keine Pflicht
der Aufrichtigkeit gegen ihn.
**
Manche dichterischen Erzeugnisse haben
uns, so lange sie neu waren, zur Bewunde-
rung hingerissen, aber als wir sie zehn Jahre
später wieder hervorholten, sahen wir mit
Schrecken, daß ihre Haut bereits zu schrump-
fen begonnen hatte. Abermals zehn Jahre,
und wir können sie gar nicht mehr zur Hand
nehmen, so welk und runzlig sind sie unter-
dessen geworden.
184
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SS
5Sffl
Es sind die Hoffräulein des Rübezahl,
die einen Tag lang im Sonnenlicht mit der
Prinzessin lachen und spielen und von ihr
für lebendige Wesen gehalten werden, wenn
aber der Abend kommt, so liegen sie tot
und eingeschrumpft als welke Rüben da.
W
TENDENZ. Der Dichter hat gar nicht
nötig, sich ernsthaft mit den Vorurteilen her-
umzuschlagen. Das macht viele der nordi-
schen Schriftsteller so schwerfällig und un-
genießbar für feinere und freiere Geister,
denen ihre Probleme gar keine Probleme
mehr sind.
Der echte Künstler nimmt getrost den
Sieg einer lichteren und höheren Weltan-
schauung voraus, und auf diesem Boden,
den er nicht mehr zu erobern braucht, der
sein ist, steht er gelassen und lächelnd.
An den Tageskämpfen braucht er schon des-
halb keinen Teil zu haben, weil ihre Fragen
für ihn seit Jahrhunderten abgetan sind.
Warum ein Dichter immer zur Öffent-
lichkeit reden muß und mit einem einzelnen
185
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noch so liebevollen Hörer nicht zufrieden
sein kann? Weil ein Kunstwerk zahlloser
Deutungen fähig ist, und darum von dem
Einzelnen nicht ausgeschöpft wird. Ein
Werk, das nicht in die Allgemeinheit ge-
drungen ist, hat nie existiert. Unter Allge-
meinheit verstehe ich aber nicht die große
Herde, die das Abc gelernt hat, sondern die
Allgemeinheit der Denkenden, die zusammen
einen ganzen Menschen bilden. Ein einzelner,
und sei er noch so geistesstark, ist in diesem
Sinne niemals ein ganzer Mensch, was jeder
Künstler mir zugestehen wird, wenn er sich
sein edelstes Publikum im einzelnen ver-
gegenwärtigt: dem einen fehlt der bildliche
Sinn, dem anderen das Ohr für den Rhyth-
mus, dem dritten das Organ für den Naturlaut,
und so herunter in die feinsten Schattierun-
gen, daß der Schöpfer des Werkes sich von
keinem einzelnen völlig verstanden fühlt, und
natürlich desto weniger, je reicher und tiefer
sein Werk.
**
Der Deutsche legt im Grunde gar keinen
Wert auf das Talent. Ihm kommt es vor
1S6
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allem auf die Gesinnung an. Man lese nur
die Kritik einer Dichtung in den Tages-
blättern. Da gibt sich der Rezensent saure
Mühe, den Charakter des Dichters und seine
Anschauungen in bezug auf Religion, Moral,
soziale Fragen und Gott weiß was alles zu
ergründen. Hat er glücklich einen Ausspruch
entdeckt, der ihm auf irgend eine der ihm
bekannten Kategorien zu deuten scheint, so
nimmt er seinen Mann beim Schopf und
bringt ihn flugs in der betreffenden Rubrik
unter, ohne zu bemerken, daß er ein paar
Seiten später vielleicht ebenso gut zu dem
gegenteiligen Resultat kommen könnte. Es
wird wohl mehr als ein Autor gestaunt haben,
wenn er sich plötzlich wie ein Schmetterling
auf einem Stück Papier mit der Nadel im
Rücken aufgespießt und klassifiziert fand.
Denn in der Natur des Dichters, wie in der
der Menschheit liegen die Widersprüche bei-
sammen, weil er in allem ist und alles in
ihm, daher er als ein Proteus in allen Le-
bensformen sich bewegen kann und muß.
Der Dichter ist zugleich Christ und Heide,
Zweifler und Gläubiger, Bekenner aller Re-
ligionen und keiner, ein Kind der elementaren
Volkskraft und der aristokratischen Verfeine-
rung, Freund des Starken und Beschützer
des Schwachen, Verkünder der rücksichts-
losen Gewalt und der heiligen Sympathie.
Er kann sich im selben Augenblick für das
übermenschliche Genie Napoleons und für
das menschliche Heldentum der Befreiungs-
kriege begeistern. Ihn entzückt der heilige
Zorn Luthers und die geistreich überlegene
Indifferenz Leos X. ebenfalls. Das alles ge-
hört zu den Grundbedingungen seines We-
sens, die ihm ohne weiteres zugestanden
werden müssen, die die Kritik gar nicht im
einzelnen herauszuklauben braucht. Sie hat
sich nur mit der Form zu befassen, unter
der sein Wesen jeweils in Erscheinung tritt.
Aber gerade das, was vor seinen Augen liegt,
die Gestaltung, übersieht der Kritiker ge-
wöhnlich ganz. Redet ei je von Form, so
meint er immer die äußere, wohl gar die
metrische, und die — versteht er meistens
erst recht nicht.
188
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ROMAN UND NOVELLE. Viele glau-
ben, daß die Novelle ein kurzer Roman,
der Roman eine lange Novelle sei. Das ist
grundfalsch. Der Ursprung der Novelle ist
die Anekdote, wie man bei Bocaccio noch
deutlich sieht Die Novelle darf ihre ein-
fache anekdotische Grundform nicht ver-
leugnen, sonst wirkt sie leicht kleinlich. Man
muß den mündlichen Erzähler noch durch-
fühlen, das erhält ihr die Frische und den
ursprünglichen Reiz. Mit hinreißender Mei-
sterschaft hat dies Maupassant durchgeführt.
Um die Anekdote recht deutlich durchfühlen
zu lassen, erzählt er zumeist in erster Per-
son oder legt die Geschichte einem fingierten
dritten in den Mund, hinter dem er selbst
versteckt ist. Dieses Vorschieben des münd-
lichen Erzählers macht die Handlung kon-
zentrierter und alle Darstellung lebendiger.
Naturgemäß muß er aus diesem Grunde die
langen Dialoge vermeiden, in direkter Rede
gesprochen wird bei ihm bloß das unmittel-
bar zur Handlung Gehörige und was zu-
gleich den Sprechenden charakterisiert. Es
war ein Unfug der verflossenen Dichter-
189
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schulen, aus der Novelle einen kleinen Ro-
man mit eingeschalteten Episoden und end-
losen dramatischen Dialogen zu machen, die
häufig gar wie im Drama die Exposition
zu übernehmen hatten, was die eigentliche
Form der Novelle ganz verwischte.
Der Ursprung des Romans ist im Epos,
in der Rhapsodie, daher sein völlig anderer
Charakter. Der Rhapsode trug nicht das
Selbsterlebte und -gehörte, sondern etwas
Gedichtetes und auswendig Gelerntes vor.
Dadurch waren die breiten Episoden, die
langen Dialoge und die Freiheit der An-
ordnung möglich. Das Epos rollt ein großes,
verschlungenes Teppichmuster auf, in dem
die verschiedensten Fäden durcheinander
laufen, der mündliche Übermittler hätte die
ganze Ordnung nicht übersehen können, wäre
nicht jedes einzelne Teilchen genau fixiert
gewesen. Der Rhapsode hatte zu seinem
Vortrag nicht einmal die Reihenfolge nötig,
er konnte einzelne Gesänge herausnehmen
und für sich vortragen. Diese epische Grund-
form ist dem Roman verblieben, und es ist
angenehm, sie durchzufühlen. Selbst die Ein-
xgo
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teilung in Kapitel, die der Einteilung des
Epos in Gesänge entspricht, ist dem Leser,
wie einst dem Hörer, eine Wohltat und als
Ruhepause höchst wünschenswert. Aus den
besten Romanen, wie zum Beispiel den „Pro-
messi sposi“, kann man ebenso gut wie aus
den alten Epen ein einzelnes Kapitel heraus-
nehmen und für sich genießen.
**
Die katholische Kirche, die für die bilden-
den Künste so fördernd war, ist es keines-
wegs für die Poesie. Shakespeare und Goethe
konnten nur protestantischen Ländern ent-
stammen, sie brauchten zu ihrer Entwick-
lung ungehemmte Geistesfreiheit und weite-
ste Menschlichkeit. Wie eng und unfrei
steht daneben Dante mit all seiner Titanen-
größe. Selbst bei dem edelsten Dichter des
neueren Italiens, bei Manzoni, weht nicht die
reine Bergluft der germanischen Dichter, man
fühlt eine katholische, nicht eine menschliche
Moral. Bei der Poesie der lateinischen Völ-
ker wird einem nur da von Herzen wohl,
wo sie im Heidentum wurzelt.
«
191
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In einem Tyrannenstaat können wohl
große Künstler heranwachsen, aber keine
großen Dichter, denn der Dichter muß die
Wahrheit sagen können oder was er dafür
hält. Darum brachte die italienische Re-
naissance nur Höflingspoesie hervor. Die
damaligen Dichter konnten nicht einmal aus-
wandern, denn in der Fremde waren sie
Bettler.
W
VON SHAKESPEARE. Die Schöpfun-
gen des großen Unbekannten geben, wie die
der Natur, immer neue Rätsel auf. Jede Ge-
neration sucht sie mit den ihr eigenen psy-
chologischen Werkzeugen zu lösen. Denn
seine Charaktere sind kompliziert wie
lebende Menschen, voll von Widersprüchen,
Unerklärlichkeiten, Lücken, Zweckwidrig-
keiten. So ist Hamlets verstellter philoso-
phierender Wahnsinn dem, was er bezweckt,
eigentlich entgegen. Er zieht damit die Auf-
merksamkeit auf sich, statt sie abzulenken;
um den König zu täuschen, hätte er ge-
dankenlose Fröhlichkeit heucheln müssen.
IQ2
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Jeder rechnende Dichter hätte ihn so ge-
zeichnet, aber Shakespeare fand im Stoff
schon die Verkehrtheit vor und nahm sie
ruhig in sein Werk herüber, denn Verkehrtes
gehört zur Menschennatur. Daher wickelt
das ganze Stück sich ab wie ein Traum,
in dem immer das Unerwartete, Wider-
sinnige geschieht und wo dennoch alles einen
tiefen Sinn hat, freilich einen Sinn, der erst
beim Erwachen ausgelegt wird. Um die Her-
stellung logischer Charaktere kümmert Sha-
kespeare sich so wenig, wie die Natur selber,
und unüberlegt, selbstverständlich fließen die
menschlichen Elemente, das heißt die Wider-
sprüche, in seine Schöpfung hinein.
Shakespeare zerstört lieber den äußeren
Zusammenhang einer Figur, als daß er um
seinetwillen einen Zug unterdrückte, der
typisch ist. Die Gräfin Capulet fühlt sich
durch den Tod der Tochter an ihr hohes
Alter erinnert, während man nach ihren
eigenen früheren Angaben ihr Alter auf
etwa 28 Jahre berechnen muß. Der Dich-
ter will in dem Schmerz der Mutter allen
193 13
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Elternschmerz zeichnen, und dazu braucht
er, um stark zu wirken, die hohen Jahre.
Das wirkliche Alter der Gräfin ist ihm dabei
etwas Äußerliches, Unwichtiges. Und sollte
das auch nur Vergeßlichkeit sein, so wäre
diese Vergeßlichkeit schon sehr bedeutsam.
Die wirkliche Gräfin Capulet könnte noch
einen Haufen Kinder bekommen und
brauchte darum nicht zu verzweifeln. Aber
schon ist dem Dichter der Einzelfall gleich-
gültig geworden, und er läßt ihn hier am
Schluß der Tragödie, wo die Wogen am
höchsten gehen, von der Flut des Allge-
meinen, Ewig - Menschlichen verschlungen
werden.
Ebenso wenig scheut er sich, der stär-
keren Wirkung zu liebe seine Personen so
reden zu lassen, wie sie, menschlich ge-
nommen, aus ihrer Haut heraus im Augen-
blick gar nicht reden könnten. Julia, in ihrem
Erwartungsmonolog, redet über die Un-
schuld, die in allem ist, was Liebe tut —
aber die Unschuld denkt nicht über sich
selber nach, und eine wirkliche Julia könnte
194
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solche Dinge erst Jahre später in der Er-
innerung an diese Nacht sagen. Sie geht da-
bei aber nicht, wie es den Schillerschen Fi-
guren häufig zustößt, über ihre eigene Per-
sönlichkeit, sondern nur über ihren augen-
blicklichen Zustand hinaus. Darum wirken
ihre Worte auch nicht als unwahr, denn die
Geschöpfe der Poesie haben ein anderes Ge-
setz, als die des Lebens. Da sie in einer
idealen Zeit stehen, können sie die eigenen
künftigen Erkenntnisse vorausnehmen.
HAMLET UND ORESTES. Hamlet ist
der Spiegel des modernen, komplizierten,
nordischen Menschen. Solcher Charaktere
hat die Muse des Nordens noch mehrere Um-
rissen, die nur ihres Shakespeare harren, zum
Beispiel den „Held Vonved“ der dänischen
Ballade und den Gunnlaug Schlangenzunge
der isländischen Saga. Auch bei ihnen ist
das Gleichgewicht gestört durch das Über-
wiegen der inneren Hemmungen, die zu
einer tragischen Schicksalsmacht werden : der
düstere Vonved, der über seine eigenen Rät-
195 » 3 *
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sei nicht wegkommt, und der schlagfertige
Gunnlaug, der dennoch nirgends fertig wer-
den kann, sind Hamlets leibliche Brüder.
Bei Hamlet liegt die Hemmung eigentlich
in der Beweglichkeit des Geistes, der die
Vorstellung des Verbrechens nicht in völliger
unmittelbarer Deutlichkeit festhält, daher die
Zweifel, das Ausweichen, die Entschuldigun-
gen vor sich selbst, die Gedankenflucht, in
die er sich absichtlich stürzt, um auszuruhen.
Wäre er Zeuge des Verbrechens gewesen,
so hätte er wie ein Wetterstrahl den Schul-
digen getroffen, denn daß er handeln kann,
so gut wie seine beiden nordischen Brüder,
beweist er durch das ganze Stück, sobald
etwas Gegenwärtiges ihn ■ aufregt. Das
Rascheln hinter der Tür genügt ihm schon
dazu. Die Aufführung des Schauspiels da-
gegen hat diese Macht nicht, sie gibt zwar
die ersehnte geistige Gewißheit, aber die
Phantasie ist doch nicht stark genug, um
den dargestellten Mord mit dem wirklich
begangenen zu identifizieren. Es braucht
die Realität des Giftbechers, um endlich den
Blitz der Tat zu entzünden.
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Wie anders ist dagegen Orest, der ein-
fache antike Mensch. Als Kind von Hause
entrückt, wächst er fern vom Ort der Misse-
tat auf. Agamemnon, das Netz, das Beil
können für ihn nur eine Sage sein, so sollte
man nach heutiger Denkweise meinen. Hat
er Kindheitserinnerungen, so müssen sie ihm
die einst liebende und zärtliche Mutter zu-
rückrufen. Das dauernde Leiden der Schwe-
ster hat er nicht mit angesehen. Den lange
abwesenden Vater hatte er kaum gekannt.
Lange Jahre sind seit der Tat verflossen;
für einen Menschen von heute wäre Gras
darüber gewachsen. Nun erscheint er, ganz
in seine Rachepflicht wie in einen ehernen
Panzer eingehüllt. Als wäre es gestern ge-
schehen. Agamemnons Blut, das heilige,
klebt für ihn noch an der Schwelle, und
unbedenklich, unbarmherzig vollzieht er das
Gericht. Das ist antike Art. Orest ist die
verkörperte Rache, die unauslöschliche Er-
innerung einfacher Naturen, über die die Zeit
keine Macht hat. Solche Menschen leben
sogar heute noch, an einsamen Orten, wo
die Tage nichts Neues bringen, wo man
197
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weder lesen noch schreiben kann, besonders
auf italienischen Inseln, wie denn überhaupt
der einzige Anhaltspunkt sich den Griechen
wenigstens von ferne noch vorzustellen, der
Italiener ist. Hamlet, der in Wittenberg stu-
diert hat, der über Sein und Nichtsein philo-
sophiert, kann kein Rächer sein, es schieben
sich ihm zu viele Gedankenreihen da-
zwischen. Und doch sind seit dem Tode
seines Vaters erst zwei Monate verflossen.
Aber zwei Monate können für den zerstreuten,
grübelnden Geist des modernen Menschen
zwei Jahrhunderte bedeuten.
MEISTERWERKE IM WANDEL DER
ZEIT. Es ist frappierend zu sehen, wie auch
die großen Meisterwerke der Literatur mit
der Zeit ihr Gesicht verändern. Vamhagen
schreibt einmal an Rahel, die Figuren im
Wilhelm Meister seien so unendlich lebens-
nah, ein Schritt weiter, und man stünde im
Leben selbst. Nichts kann dem heutigen
Leser fremder sein, als dieses Urteil. Für
uns sind die Figuren so lebensfern, so sehr
198
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in eine andere Sprache übersetzt, durch-
geistigt und durchscheinend von der Idee,
daß das körperliche Gewand, das sie ein-
hüllen soll, fast ganz geschwunden scheint.
Man kann sie nicht leibhaft sehen, sie er-
innern an keinen Lebendigen mehr. Hat
uns der neuere Roman an eine so viel
größere Lebensnähe gewöhnt? Oder sind es
ausgestorbene Typen ? Vielleicht beides.
So viel ist sicher: ich kenne persönlich nicht
einen mehr, Philine ausgenommen und ein
paar Unterfiguren, auch die nur, wenn ich
meine Kindheitserinnerungen zu Hilfe
nehme. Heute hätte auch Philine ein anderes
Gesicht. Solch gutmütigen Flattersinn ohne
alle Berechnung gibt es nicht mehr. Auch
die Aurelien sind ausgestorben, nicht zu
unserem Schaden. Diese Aurelie muß ein-
mal sehr wahr gewesen sein, ich erinnere
mich noch dunkel solcher Gestalten, solcher
ewig klagenden, von Erinnerungen verzehr-
ten, sie ins Schaufenster legenden. Heute weiß
eine Verlassene, daß sie mit Klagen den
Freunden im besten Falle lästig fiele und
auch von ihnen in den Winkel gestellt würde,
199
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»SS»®^I*gSS
M
wahrscheinlicher noch zöge sie sich Spott
und Schadenfreude zu. Deshalb nimmt man
sich jetzt in solchen Fällen zusammen. Aber
damals gefielen die Seelenergüsse, man sah
gern die zuckenden Herzfasern bloßgelegt
und zwang sich mitzufühlen, fühlte wohl
auch wirklich mit. Welch ein festes und
hartes Geschlecht sind wir neben diesen Ge-
fühlsschwelgern. Wir bergen unsere Emp-
findungen hinter einer Eisrinde, wo sie frei-
lich allmählich erstarren.
Serlo kann ich noch wie im Nebel wahr-
nehmen. Lothario, Natalie, Therese sind
völlig zu Schemen geworden wie viele an-
dere, eine ausgestorbene Welt. Der Harfner
und Mignon hatten niemals Blut in den Adern,
sie sind ein Stück blässester Romantik.
Die Mignon ins Lebendige übersetzt heißt
Meretlein. Kurz, das Leben ists gerade, was
ich gar nicht in dem Buche finden kann,
nur eine aus der Zeit gezogene Quintessenz
des Lebens, bis zur Entkörperlichung destil-
liert. Die höchste, göttlichste Weisheit eines
Sehers und Beichtvaters.
W
200
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Nur die Griechen und Shakespeare mit
wenigen anderen verändern ihre Züge nicht.
„Nothing in you that doth fade“. Ihre Gren-
zen sind 5so weit, daß jede neue Kulturperiode
darin Raum hat.
/
??
Indeß wer weiß? Vielleicht werden in
ferner, ferner Zeit auch Shakespeare und
der Faust einmal sterben, wie Dante gewiß-
lich sterben wird. Alle Dichter der neueren
Ära tragen wie ein Muttermal einen Punkt
an sich, der sie als Kinder ihrer Zeit be-
zeichnet. Dieser Punkt hat sie einst ihrer
Zeit zugänglich gemacht, er ist es auch, wo
sie sterblich sind, wo die Wasser des Styx
sie nicht berührt haben. Von da aus kann
das Welken und die Vergänglichkeit über
sie kommen, die sie vielleicht einmal ganz
noch verzehren.
Es könnte zum Beispiel eine Zeit kom-
men, wo man das Motiv des Othello, Rache
für scheinbar beleidigte Gattenehre, gar nicht
mehr verstände, weil man eingesehen hätte,
daß Untreue der Gattin nichts mit der
201
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Ehre des Gatten, sondern einzig mit seinem
Gefühl zu tun hat. Ja, ich bin überzeugt,
wir hören schon heute den Othello mit etwas
anderen Ohren an, als Shakespeares Zeit-
genossen ihn hörten. Wir sehen in ihm nur
den beklagenswerten, verblendeten Mör-
der, nicht den übereilten Richter, und
es braucht für eine feinere Seele schon die
göttliche Kunst eines Salvini, um die wider-
wärtige Vorstellung des angemaßten Richter-
amts über dem tragischen Mitleid zu ver-
gessen. Je mehr der tragische Dichter seine
Stoffe aus der Welt der Konventionen wählt,
statt aus der Natur, auf desto mehr Punkten
ist er der Vergänglichkeit ausgesetzt.
Die großen Griechen allein sind frei von
allen Malen der Sterblichkeit geblieben.
¥9
VON DER GRIECHISCHEN TRAGÖ-
DIE. Im griechischen Drama staunen wir
nicht mehr die Schöpfung einzelner Dichter,
sondern das fleckenlose Werk einer ganzen
Kultur, die angesammelte Kraft und den Adel
des gesamten Griechenvolkes an. Darum
*
202
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sind die wenigen erhaltenen Werke des
Aeschylos wahrer und größer, als die Shake-
speareschen, die neben diesen Werken der
Notwendigkeit wie das Werk individueller
Willkür erscheinen. Wer kann unmittelbar
nach dem Agamemnon oder den Persern ein
Shakespearestück lesen, ohne das barbari-
sche, barocke und wüste, was es notgedrun-
gen mitführt, als wilde Phantasterei zu emp-
finden ?
Man denke sich aber auch das Publikum
des Aeschylos. Nicht nach staubiger Tages-
arbeit müde und sensationsbedürftig, nicht
um die stumpfen Nerven wieder anzuregen,
wozu das gröbste Mittel das beste ist, nicht
des Abends in überhitzter Luft bei künst-
lichem Licht und falschem Flitterputz, son-
dern am hellen Tageslicht im Grünen, mit
dem Blick auf Meer und Berge, an den
höchsten Fest- und Weihetagen des Landes
kommt das höchste, feinste, genialste und
kultivierteste Volk der Erde, um über die
Werke seiner großen Dichter zu richten,
deren Stoff einem jeden geläufig ist. Da
gibt es keine grobe Spannung, den Ausgang
203
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kennt ein jeder, nur auf das Wie, auf das
wahrhaft Poetische ist der Sinn gerichtet.
Auch der Sinnenkitzel ist ausgeschlossen,
die Tragödie als Staatsangelegenheit hat
nicht nötig, einem zahlenden Publikum zu
schmeicheln. So schreiten die überlebens-
großen und überlebenswahren Gestalten als
das Ewigmenschliche, Allverständliche über
die Bühne, begleitet von Gesang und Tanz,
die für ihre symbolische Würde Zeugnis ab-
legen.
Wird ein Werk wie Die Perser je-
mals wieder geschaffen werden? Ein Stück
aus der Tagesgeschichte, noch vibrierend
von der Erschütterung des Selbsterlebten
und doch schon vom Licht der Ewigkeit
durchleuchtet. Von einem Salamiskämpfer
geschrieben und aufgeführt vor den Vete-
ranen von Salamis und vor den Jünglingen,
die jene großen Tage wenigstens noch vom
Hörensagen kannten.
Ehrfurcht erfaßt uns, nicht vor dem Dich-
ter, sondern vor dem Volk, dem der Dichter
dieses Geschenk bieten durfte, denn es ist
die Sache des besiegten Feindes, die hier
204
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vom tragischen Mitleid verklärt wird. Der
Tragiker macht von dem höchsten Dichter-
recht Gebrauch, für den „überwundenen
Mann“ zu zeugen, und mit welcher Weihe
umgibt er die Gefallenen, welche Gerechtig-
keit läßt er dem Besiegten widerfahren, mit
welchen Ehren sind die Häupter der Un-
glückseligen umkränzt, die „das Antlitz gen
Athen“ von den spöttischen Wellen dem
Strande von Salamis zugewälzt werden. Und
die Züge dieser Gesichter waren den Zu-
schauern noch bekannt, sie waren noch vor
kurzem das Schreckgespenst griechischer
Mütter gewesen!
Man unterbreche einen Augenblick
dieses Bild durch ein anderes. Man denke
sich einen deutschen Aeschylos, der in den
Jahren, die auf den Siebziger Krieg folgten,
auf einer deutschen Bühne dem über-
wundenen Gegner solche Trauerehren hätte
erweisen wollen, man male sich das Bild
seines Empfangs vor einem deutschen Pu-
blikum aus, um den ungeheuren, nicht aus-
zudenkenden Abstand zu ermessen, der uns
Heutige von den Hellenen, dem einzigen
öffigsi sä*
Kulturvolk, das jemals gelebt hat, trennt. —
Ich führe mit Absicht nur die Deutschen
an, denn die Deutschen sind, in ruhigen
Zeiten, wenn das Gleichgewicht nicht
schwankt, noch immerhin das einzige Volk,
das einem anderen Volke gerecht werden
kann. Aber der Grieche war der Kunst gegen-
über immer im Gleichgewicht, er sah auch
den Todfeind durch das Glas der Dichtung
nur sub specie aeterni.
Wie wohltuend ist es, daß in den Trauer-
gesang der Besiegten kein trunkenes Tri-
umphlied der Sieger hineintönt. Der hel-
lenische Genius hätte dem Dichter diese
grellen Kontraste verwehrt, wenn sie nicht
schon durch die Beschränkung der Bühne
unmöglich gewesen wären. Und von welcher
Würde ist die Beschwörung des toten Darius I
Feierliche Schauer, keine grassen Schrecken,
schweben um die Gruft, die sich auftut, den
Schatten des Königs zu entlassen. Gegen
diese Größe gemessen, scheint der Geist im
Hamlet mit seinem unterirdischen Ver-
steckensspiel und Hamlets : „Brav, alter
Maulwurf!“ plump und klein. Es ist wieder-
206
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um Sache eines ganzen Volks, nicht eine
persönliche Angelegenheit, was den Toten
ans Licht zwingt — nur die Beschwörung
der toten Wala in der Edda, wo es sich 1
um ein ganzes Weltgeschick handelt, geht
darüber noch hinaus. Auf die Frage des
Toten: „Unser Weg ist schwer — warum
zwingt ihr mich zu kommen?“ folgt die
schicksalsschwere Antwort: „Dein ganzes
Reich ist vernichtet“, und die Klagen der
Greise fallen ein: „Dein ganzes Heer! Die
ganze Jugend! Alle, alle!“ Es ist wie ein
Ozean von Jammerrufen, wo jede Welle auf-
schreit: Alle! und ein langes Echo trägt es
fort: Alle! Dein ganzes Volk, dein ganzes
Heer, alle, alle deine Schiffe!“
Die herrlichste Schöpfung aber ist der
Agamemnon. Er hat den vollkommensten
Aufbau, die stärkste Wirksamkeit in der von
Szene zu Szene sich steigernden Handlung
bei den wundervollsten, die Phantasie zur
Mitarbeit nötigenden Einzelheiten. Es ist ein
unvergleichlicher Anfang, wie durch die Vor-
stellung der sich fortpflanzenden Feuer-
zeichen das Bild des ganzen Landes mit
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seinen Bergen und Meerbusen als ein un-
endlich reicher Hintergrund auftaucht — die
Poesie tut hier mit ihren eigensten Mitteln,
was später Aufgabe des Tbeaterdekora-
teurs wird — wie dann der Bote
die Heimaterde küßt, und, nachdem, man
aus dem Mund der Greise die Leiden
der Daheimgebliebenen kennen gelernt,
die Anschauung von der Not der Aus-
gezogenen mitbringt. Und die Gestalt der
Klytemnestra, so fein in ihrer Heuchelei,
so königlich in ihrer Bosheit, daß man sie
beinahe lieben muß. Das ist keine niedrige
Verbrecherin, der Dichter, der sie so reich
mit Schlechtigkeit ausstattet, hält ihr jeden
Zug fern, der sie zum Zerrbild oder zum
Ungeheuer machen könnte — nur in der
Lady Macbeth hat diese dämonische Ge-
stalt ihresgleichen gefunden. Dann Agamem-
nons Empfang! Als höchste Symbolik die
rote Bahn, auf der er ins Haus schreitet.
Wie gewaltig mußte dieser rote Teppich, der
sich plötzlich wie ein Blutstrom über die
Szene verbreitet, auf die Phantasie der
Wissenden wirken. Und wissend waren ja
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die Zuschauer alle, die Geschicke der Atriden
lebten in jedem Herzen. — Goethe spricht
einmal im Wilhelm Meister über die er-
habene Wirkung des Symbolischen im
Drama, wofür er als höchstes Beispiel die
Wegnehmung der Krone vom Bett des ster-
benden Königs in Heinrich IV. bezeichnet.
Aber was will die Wegnehmung der Krone
gegen die „rote Bahn“ des Atriden bedeuten !
— Und wie weise erdacht ist Agamemnons
Weigerung, den Prachtteppich zu beschrei-
ten, um nicht durch so triumphalen Ein-
zug die Götter zu reizen: das Volk soll den
König, den es gleich verlieren wird, noch in
seiner Weisheit, Mäßigung und Götterfurcht
lieben lernen, er soll durch dieses Maßhalten
im Glück, die von den Griechen so hoch-
gehaltene „Sofrosyne“, dem Zuschauer noch
werter werden — aus den homerischen Ge-
sängen hatte er solchen Kredit nicht mit-
gebracht — , und zugleich erhält die zungen-
fertige Klytemnestra Gelegenheit, ihre ganze
Heuchelkunst zu entfalten. Vom edelsten
Takte ist wieder sein leises Zurückweisen
ihrer übertriebenen Rhetorik, das sich doch
20g
*4
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zu vornehm hält, ein Mißtrauen zu verraten.
Und nun folgt auf diese gewaltige Vorbe-
reitung noch eine letzte und höchste Steige-
rung in der Kassandraszene, der Krone des
ganzen Stücks. Die Seherin scheut zurück
vor der blutbefleckten Schwelle. Wie ein
Jagdhund wittert sie altvergossenes Blut. Die
Gestalten des Vergangenen erscheinen für
sie, dem Zuschauer unsichtbar, auf der
Schwelle und regen den Blick ins Künf-
tige auf, in das Künftige, das soeben schon
zur Wirklichkeit wird. Sie sieht durch
die Mauern, durch die geschlossenen Türen
hindurch das Bad, das Netz und die Axt,
die auch für sie geschliffen ist. Und nach
dem erschütterndsten Weheruf über die
Opfer, zu denen gleich sie selbst gehören
wird, faßt sie sich zusammen und schreitet,
vom Chor der Greise vergeblich zurückge-
halten, wissend und dem Unabwendbaren
sich beugend, ihrem Geschick entgegen.
Dieser höchste, bis in die Wolken ragende
Gipfel ist von der tragischen Kunst niemals
wieder erstiegen worden, und auch für den
Dichter der Oresteia selbst gab es hier kein
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Verweilen. Im „Totenopfer“ sinkt die dichte-
rische Kraft, um sich erst in den „Eume-
niden“ und hier mehr durch die Macht der
sittlichen Idee, als durch die der dramati-
schen Mittel noch einmal auf die gleiche
Höhe zu schwingen.
Diese großen Werke stehen da als ein
ewiger Pegel, wie hoch einmal der Wasser-
stand der Kultur gewesen; die heutige kann
keine Schiffe von solchem Tiefgang mehr
tragen.
211
14*
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KUNST UND
KÜNSTLER
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Kunst ist Glückseligkeit. Man hat von
ihrer Gegenwart nichts direkt zu lernen. Sie
versetzt in einen Zustand, wo alles Wollen
aufhört, also auch das Sichbildenwollen.
Durch ihren Anblick wird die Welt voll-
kommen. Wem nicht im buchstäblichen
Sinne der Verstand dabei stille steht, der
hat mit dem Kunstwerk nichts zu schaffen.
n
NEUE KUNST. Das Wort ist schon
deshalb ein Widersinn, weil Kunst das
Älteste ist, was es geben kann. Sie stammt
aus den Anfängen der Menschheit, aus ihrem
Spieltrieb und Kindersinn. Wo sie den ver-
leugnet, da hat sie schon aufgehört, Kunst
zu sein. Es gibt neue Kunstwerke, es kann
neue Stile geben, aber keine „neue Kunst“.
Weder von alter Kunst redet mir noch von
neuer, sondern nur von der großen, echten,
ewig einen. Ihr Inhalt kann leise wechseln
mit den Zeiten, ihre Mittel sind zeitlos und
wechseln nie.
2i5
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BW
Es wird jetzt in Deutschland ein Kultus
mit den bildenden Künsten getrieben, der
vielleicht einen nahen Aufschwung vorbe-
reitet. Die Sprache ist auch hier das emp-
findliche Barometer, das die kommende Kul-
turveränderung anzeigt. Kein Wort hört man
so oft wie „künstlerisch“, es deckt jetzt eine
ganze Kategorie von Begriffen, die früher
unter allen möglichen Namen von einander
getrennt waren. Auch der Dichter läßt sich
jetzt willig unter die Künstler einreihen, der
doch sonst eine eigene, höhere Rangstufe
beanspruchte. Einen Hellenen würde diese
Gleichstellung empören, aber heute sind wir
in einer anderen Lage. Vielleicht steht der
bildenden Kunst jetzt eine besondere, schon
ganz nahe Mission bevor: die übergewaltige
materielle Welt, die eine geistesfeindliche
Macht zu werden drohte, mit Seele und
Rhythmus zu durchtränken und sie so für
den Geist zu erobern — die Menschheit
durchs Auge zum Idealismus zurück zu ver-
führen.
**
216
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KÜNSTLERISCHER EGOISMUS. Der
geistig schaffende Mensch hat zwar dasRecht,
sich die schwereren Verwicklungen des Le-
hens vom Halse zu halten und seinen Blick
von der Not, vom Leiden, vom Unrecht, kurz
von all den störenden Realitäten abzuwen-
den, denn die Verbindlichkeiten, die jeder
im Leben hat, zahlt er durch seine Werke
an die Gesamtheit ab und wäre somit nicht
verpflichtet, sich auch noch persönlich und
für den Einzelnen einzusetzen.
Aber eigentlich kommt dieses Recht nur
dem Gelehrten zu gute, dessen Stoff außer
ihm liegt, beim Künstler ist es anders. Schon
der Maler und der Bildhauer können keinen
ausgiebigen Gebrauch davon machen ohne
Schaden für ihr Werk, noch viel weniger
der Dichter. Wenn dieser mit seiner Person
sehr haushälterisch ist, so fördert er zwar
die Quantität seiner Werke, aber die Qualität
leidet darunter. Denn des Dichters Material
ist ewig nur er selbst — darum haßte Byron
solche Schriftsteller, die nichts als Schrift-
steller waren.
Die Affekte, denen der Schaffende im
217
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Leben allzu ängstlich aus dem Wege ge-
gangen ist, versagen sich ihm für die Dar-
stellung, da er den Stoff zu seinen seelischen
Gebilden nur aus der eigenen Seele holen
kann. Er wird also, wenn er ihn da nicht
findet, zu — vielleicht unbewußten — An-
leihen greifen müssen, die er nur bei irgend
einer älteren, aus der unmittelbaren Emp-
findung geschöpften Darstellung machen
kann. Bei dieser Übertragung leidet natür-
lich seine Darstellung eine Einbuße an Jnner-
lichkeit und somit an echter Wirksamkeit,
die auch durch die größte Meisterschaft in
der Formensprache nicht ganz verdeckt wird.
Solche Künstler nennt man kalt, sie sind
vielleicht nur im Leben allzu vorsichtig ge-
wesen.
218
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!
® UNTER ei
MENSCHEN ||
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Die Politik ist das Schicksal, sagte Na-
poleon, das Fatum der Alten mißbilligend.
Heute müßte man sagen: die Gesellschaft
ist das Schicksal, diese ganze große Kultur-
maschine, die den Starken, der sich wider-
setzt, zermalmt und den Schwachen zerreibt.
Der Konventionalismus wird niemals aus
der Welt geschafft werden : er ist die einzige
Form, unter der die große, unendliche Herde
derer, die nicht denken, dem Ideal huldigen
kann, wenn sie es dabei auch gänzlich fälscht
und in sein Gegenteil verwandelt.
Die menschlichen Vorurteile sind wie
jene bissigen Hunde, die nur den Furcht-
samen angreifen.
Die materiellen Interessen reißen die
Menschen auseinander, die geistigen verbin-
221
Digitized by Google
den sie. Nur in Zeiten, wo der Idealismus
herrscht, gibt es die großen Freundschaften.
Die Gegenwart hat etwas Versöhnendes:
Wenn wir einem Menschen, mit dem wir
Krieg geführt haben, persönlich gegenüber-
stehen und der Zwang der guten Sitte die
Stirnen glättet, so regt sich auch wirklich
etwas zu seinen Gunsten in unserer Seele.
Alle Erklärungen seines Betragens legen sich
ohne sein Zutun mildernd an unser Herz.
Es sind unheimlich tiefgründige oder
ganz perverse Naturen, die auch unter dem
Einfluß der Gegenwart und mit einem ver-
söhnten Lächeln auf den Lippen im stillen
den Krieg weiterführen.
r*
Im Urzustände der Menschheit war jeder
Unbekannte ein Feind, und eine Erinnerung
daran ist noch im Instinkt erhalten. Bei jeder
ersten Begegnung muß im Grunde etwas
Feindseligfremdes überwunden werden, das
der Kulturmensch durch eine verbindliche
Formel zudeckt. Kinder schweigen und
222
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stehen sich scheu gegenüber, bis sie ent-
weder Sympathie fassen und einander bei
den Händen nehmen, oder die Abneigung
so deutlich wird, daß sie vielleicht beide
in ein Geheul ausbrechen.
Klug sein heißt praktische Psychologie
treiben. Wer einen anderen gar nicht zu be-
handeln versteht, der beweist, daß er in
sein Wesen und seine Bedürfnisse keinen
Einblick hat.
**
Zur Menschenkenntnis gehört nichts als
ehrliche Selbstbeobachtung. Kennt man sich
selbst, so kennt man alle Menschen, die
guten wie die schlechten.
Die Fronsklaven des Luxus blicken mit
Neid, der nicht immer frei ist von Gehässig-
keit, auf jene Bedürfnislosen, die sich den
höchsten Luxus gestatten, ihre Freiheit zu
wahren.
**
223
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Nicht umsonst setzt die Gesellschaft
immer die höchste Luxussteuer auf die
idealen Bedürfnisse.
Der Philister, der nur das Reale schätzt,
ist doch ganz außer stände, mit den wirk-
lichen Realitäten zu rechnen. Sieht man ihn
je einem Hochbegabten, Großeswollenden,
der noch kämpfen muß, die Hand reichen?
Auf den Dank solcher ringenden Heroen
müßten ja die „praktischen“ Leute ganz
eigens wie auf eine hohe Kapitalanlage spe-
kulieren. Aber das fällt ihnen gar nicht ein.
Dagegen ist man gleich zur Hand, wenn es
gilt, sich irgend einem Hochgestellten dienst-
bar zu machen, der den Vorschub weder
braucht, noch dafür dankt. So schlecht ver-
stehen sie sich sogar auf den weltlichen
Vorteil. Die Wahrheit ist: dem Philister
flößt nur der im Besitz Befindliche Zu-
neigung ein, die er dann auch völlig gratis
verschwendet, und so ist er, ohne es zu
ahnen, doch auf seine Art ein ganz un-
praktischer Phantast.
224
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Der wahrhaft Bedauernswerte in der heu-
tigen Gesellschaft ist nicht der Proletarier,
an dessen materielle Förderung eine mäch-
tige Partei ihre ganzen Kräfte setzt. Freilich
ein chimärisches Bestreben, so lange mit
der Steigerung der Löhne neben der Er-
höhung der Preise auch die materiellen Be-
dürfnisse sich erhöhen. Dennoch gibt es
einen Ausgleich für den gemeinen Mann:
er lebt naiv in den Tag hinein, der Zwie-
spalt zwischen den Forderungen der Natur
und der Gesellschaft läßt ihn unberührt, er
heiratet jung und fragt nicht: Wie werde
ich meine Kinder durchbringen? Er weiß:
die breite Woge des Lebens trägt auch sie.
Der wahre Märtyrer unserer Kultur ist
der gebildete Mensch, der keine Mittel hat.
Er ist zum Zölibat verurteilt, weil er nicht,
wie der Proletarier, leichtsinnig einen Le-
bensfunken entzünden darf, den er nicht
nähren kann. Seine Kinder sollen nicht unter
sein eigenes Niveau herabsinken, besser also,
daß sie gar nicht sind. Keine Partei fragt
nach seinem Wohlergehen. Seine glück-
licheren Standesgenossen lassen ihn mehr
225 *5
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oder minder deutlich seine finanzielle
Ohnmacht fühlen, und der Niedrige rächt
gerne an ihm all den Haß und Neid,
den die privilegierte Klasse ihm ein-
flößt. Wenn er ihn nicht für den Luxus
seines Auftretens hassen kann, so haßt er
ihn für den geistigen Ausdruck seiner Ge-
sichtszüge, der ihm als der allergrößte Luxus
erscheint. Ja, er haßt ihn im Grunde sogar
mehr als den Reichen, weil der Besitz dem
gemeinen Mann als Realisten, der er ist,
doch zugleich imponiert. Und was Wunder,
daß das rohe Volk roh empfindet, wenn
der wohlhabende Gebildete selber jeden
Geldsack mit Hochachtung behandelt und
dem Parvenü Rücksichten erweist, die er
vielleicht dem unbemittelteren Bruder schul-
dig bleibt. Die ungeheure Überschätzung der
materiellen Güter ist dem Volk, das die gei-
stigen nicht kennt, am wenigsten zu ver-
argen.
Wahrlich, es gehört noch viel, viel mehr
dazu, als Geist und Bildung, es braucht Cha-
rakter, Gemüt und eine fortgesetzte Vered-
lung der Rasse durch viele Generationen,
226
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um den Mammon endlich auf seinen wahren
Wert zu fixieren.
Wenn ihr weiter nichts wollt, als schön
wohnen, behaglich leben, euren Sinnen an-
genehme Empfindungen zuführen — das alles
will die Bestie auch. Fragt den Stier, was er
vom Leben verlangt: eine grüne Wiese mit
vielem saftigem Gras und mit schönen Kühen
darauf. Wenn ihr nichts Höheres wollt als
er, so habt ihr kein Recht, ihn zu töten und
euch durch ihn zu nähren.
Aber ich sehe eine Zeit kommen, wo
ein Hunger nach idealen Gütern die Welt
verzehren wird. Dann wird sie sich in Hirn-
gespinste und von da in die Askese stürzen,
denn das Schöne ist eine Blume, die in
Jahrtausenden nur einmal blüht.
n
ALLERLEI HEILIGE.
DIE IDEALISTEN WIDER WILLEN.
Die praktischen Köpfe, die sogenannten
„positiven Menschen“, die den Idealismus
227 i 5 *
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?5gE\B5gS\IB g£\R*2g>
verachten und nur für den Gelderwerb leben,
das sind die Idealisten wider Willen. Sie
rechnen und häufen Millionen auf Millionen,
ohne zu wissen, für wen, für was? Auf Be-
fragen sagen sie zwar: „Für unsere Kinder“,
in Wahrheit sind ihnen aber die Kinder da-
bei sehr unwichtig. Wenn sie klug sind,
so wissen sie sogar, daß sie die Kinder schä-
digen, denn daß schnell erworbener, großer
Reichtum die Degeneration der Familie zur
Folge hat, das steht ihnen täglich in un-
zähligen Beispielen vor Augen. Aber da-
nach fragen sie nicht, das Erwerben ist ihnen
ein Naturtrieb. Sie rechnen, während sie
eine Beethovensche Sonate anhören, sie
rechnen im Theater und in den Armen ihrer
Gattin oder Geliebten. Nie hat ein großer
Gedanke ihr Herz weit gemacht, nie eine
poetische Regung ihre Phantasie entzückt.
Auch für das bunte Maskenfest des Lebens
hat der „praktische Kopf“ keine Zeit, er
schließt das Fenster, damit das Gejauchze
ihn nicht im Rechnen stört, und schreibt
Zahlen zu Zahlen: er muß seine Millionen
ausschicken, um neue Millionen heranzu-
228
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reißen, bis der Tod ihm die Feder aus der
Hand nimmt. Alsbald ist offene oder heim-
liche Empörung auf der ganzen Linie. Die
Millionen, ihres Herrn und Meisters ledig
und selbstherrlich geworden, erheben sich
gegen seine Erben und lassen nicht ab, an den
Unglücklichen ihre Rache zu kühlen, bis der
physische und moralische Ruin der Familie
vollendet ist und sie dann in öffentliche
Stiftungen zerfallen können, die einem politi-
schen oder humanitären oder künstlerischen
Zwecke dienen. Denn auch der Dämon Geld
hat zuweilen ethische Hintergedanken, wenn
man sie auch nicht gleich durchschauen
kann.
So hat der praktische Kopf, der lebens-
lang mit kaltem Lächeln auf die Idealisten
heruntersah, dennoch sein ganzes Dasein an
ideale Zwecke gesetzt, und die idealen
Zwecke können mit Seinesgleichen als mit
einer völlig sicheren Größe rechnen.
n
DIE ÄSTHETISCHEN MENSCHEN.
Feine geistige Kultur, die unmittelbar aus
229
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dem Gelde stammt, hat etwas von der Treib-
hauspflanze an sich, die außerhalb ihrer
Jahreszeit zum Blühen gebracht wird. Statt
daß eine Familie von Geschlecht zu Ge-
schlecht sich langsam zur Kultur entwickelt
und verfeinert, bis in einer Generation oder
einem Individuum die höchste Blüte erreicht
ist, nehmen die Kinder reich gewordener
Banausen die Blüte vorweg, indem sie Eigen-
schaften in ihrem Geiste zeitigen, auf die
normalerweise erst ihre Urenkel ein Recht
hätten. Aber Schmelz und Duft sind nicht
wie bei der natürlich entwickelten Blume,
es ist etwas Unvollkommenes darin: ein-
seitige Ausbildung des Geschmacks, ästheti-
scher Sinn ohne Veredlung des Gemüts und
Charakters zu voller Menschlichkeit. Die
Pflanze, die zum Blühen noch gar nicht
reif war, verkümmert danach; niemals setzt
sich bei den Nachkommen der unterbrochene
Entwicklungsprozeß fort, die Familie muß
aussterben oder verkommen.
W
Diese Naturen wissen ihre Mängel unter
der ästhetischen Verfeinerung so gut zu ver-
230
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stecken, daß es langer Erfahrung bedarf, um
sie an ihrem Merkmal immer und überall
wieder zu erkennen. Ihr Merkmal ist: sie
wissen nichts vom Noblesse oblige.
**
Wie sie es fertig bringen, diese ästheti-
schen Schwelger, die überall das Schöne
suchen und genießen, in ihren eigenen Hand-
lungen und Unterlassungen so gar nicht
schön zu sein und doch mit sich in Ein-
klang zu bleiben?
Sie sehen das Leben als ein Bühnenstück
an, das eigens für sie aufgeführt wird. Sie
sitzen bequem in ihren Logen, verteilen Lob
und Tadel mit Kunstsinn und Gerechtigkeit
und klatschen, wenn der Held mit Anstand
untergeht. Ihm beizuspringen, fällt ihnen nie-
mals ein, sie kämen sich dabei so absurd
vor, wie jenes Bäuerlein, das vom Zuschauer-
raum auf die Bühne sprang, um die bedrängte
Unschuld zu beschützen. Sie wissen nicht,
daß in diesem Stück, wie in den Komödien
der romantischen Schule, auch die Zuschauer
mitspielen, und daß eben dies ihre Rolle
ist, diese ästhetische Teilnahme bei völliger
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seelischer Indifferenz, eine Rolle, die die
Regie ihnen zugeteilt hat, weil ihr Zeug zu
keiner besseren ausreicht.
Wer auf einer ererbten Geldtruhe sitzt,
muß, wie die Mediceer, hohe Verpflichtun-
gen mitgeerbt haben, um ein großer Mensch
zu sein. Aber diese verzogenen Kinder
wollen wie die olympischen Götter thronen;
jeder bringt ihnen sein Bestes, sie nehmen
es an wie leichte Weihrauch Wölkchen und
gehen doch vorüber, ohne einen Segen zu
hinterlassen. ^
In jungen Jahren sagte ich getrost : Ästhe-
tik ist die beste Moral. Damals kannte ich
die Menschen nicht, sondern lebte in Ideen.
Jetzt sage ich umgekehrt: Moral ist ange-
wandte Ästhetik.
n
DIE PSEUDOROMANTIKER. Es gibt
phantastische Naturen, besonders im weib-
lichen Geschlecht, denen alles Hergebrachte,
Fadengerade zuwiderläuft und die dabei doch
so wenig Originalität besitzen, daß sie nicht
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BS
s®
einmal auf eigene Hand zu träumen, ge-
schweige ohne Vorbild zu leben vermögen.
Es sind das besonders die eingefleischten
Romanleserinnen, die immer von Zeit zu
Zeit in den Bann einer Romanfigur kommen,
auf deren Maß sie ihr eigenes Dasein zuzu-
schneiden suchen. Sie gefallen sich nur im
Kostüm und in der Pose ihres Vorbilds,
wollen im gleichen Leide schwelgen, wie
dieses; sie machen ihre ganze Existenz zum
Plagiat und schrecken, wenn der Nach-
ahmungstrieb es fordert, nicht einmal vor
dem Martyrium zurück. Ich frage mich, ob
nicht unter den Opfern der großen Bewegun-
gen, die von der Geschichte gefeiert werden,
manche Exemplare dieser Gattung gewesen
sind.
Da solche Naturen aus innerer Unpro-
duktivität mit dem täglichen Leben nichts
anzufangen wissen, verachten sie es als ihrer
unwürdig und ziehen sich gerne allerlei
Elend auf den Hals, das sie vor sich selbst
mit Theaterflittern aufputzen ; überhaupt ver-
wechseln sie sich selbst mit den produktiven
Naturen, deren innerer Drang gleichfalls ein
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behagliches Dasein abweisen muß, aber aus
anderen Gründen.
Die kleinen Städte bringen diese wunder-
lichen Heiligen hervor, oder die Städte, die
so groß sind, daß man auch dort im Winkel
lebt.
**
DIE GERECHTEN. Der Schwerfällige,
der kleinlich Gewissenhafte, der das Leben
wie einen Sack zur Mühle schleppt, ist nie
in Gefahr, sich bei den Blumen des Weges
zu vertändeln. Das Entsagen fällt ihm leicht,
weil seine Phantasie und seine Sinne gar
nicht genießen können und weil das Tret-
rad der täglichen Pflicht ihm noch die ge-
ringere Langeweile bereitet; deshalb wun-
dert er sich allen Ernstes, daß nicht alle
eine Tugend üben, die ihm selber so wenig
Überwindung kostet.
Dagegen hat er einen anderen Genuß,
dem er bis zur Ausschweifung fröhnt. Er
schlemmt und praßt in Prinzipien. Er bringt
das Gesetz nicht aus dem Munde, und wenn
es ihm gelungen ist, mit seiner Rechtfertig-
234
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keit den anderen eine schöne Stunde zu
verderben, so hat er seinen Zenith erstiegen :
er genießt dann das schönste Glück, er ge-
nießt sich selbst. So treulich sorgt die Natur
für alle ihre Geschöpfe. Sich selbst genießen,
das ist in Wahrheit das höchste Glück des
Weisen wie des Toren.
DIE EMPFINDSAMEN. Zuweilen be-
gegnet man Menschen, die feiner organisiert
sind, deren Nerven weiter reichen und in
zartere Fäden auslaufen, als beim normalen
Menschentypus, die darum auch verletz-
licher sind und sich mit einem weiteren Boll-
werk von Rücksichten umgeben müssen.
Dieselbe Feinheit und Verletzlichkeit setzen
sie auch bei den anderen voraus und bringen
deshalb in ihren Verkehr eine Zartheit, eine
Höflichkeit und Vorsicht mit, die gleichsam
nicht von dieser Welt sind. Sie gehen wie
mit bittend vorgehaltenen Händen durchs
Leben. Wenn wir solchen Menschen be-
gegnen, so erscheinen sie uns wie Wesen
von einer anderen Rasse, einer zärteren,
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schutzbedürftigeren, leichter verwundbaren,
wir hüten unsere Worte und Geb erden, um
ihnen nicht wehe zu tun, wir treten unwill-
kürlich leiser auf und dämpfen unsere
Stimme. Sie sind niemals bequem zum Um-
gang, diese Empfindsamen, sie erwecken eine
Art zärtlicher Scheu, den Trieb, sie zu schützen
und zu hegen, man möchte ihnen so wenig
ein rasches Wort sagen, als einen Bluter
mutwillig mit der Nadel ritzen, man weiß
ja, daß bei ihnen die kleinste Wunde ge-
fährlich werden kann.
Neben diesen liebenswürdig Gefühl-
samen gibt es aber Empfindliche von einer
schlimmeren Gattung. Es sind das die Leute,
die zwar mit Wonne dem Nachbar auf
die Hühneraugen treten, aber außer sich ge-
raten, wenn ihnen das Gleiche geschieht.
Sie reden gerne von ihrem Feingefühl, das
allerdings ihre eigene Person mit einer Un-
verletzlichkeit umgibt, das aber niemals auf
die anderen angewendet wird. Ihre Emp-
findlichkeit hat vielmehr etwas Aggressives,
und ihre Schwäche ist wie in einer stachligen
Schale versteckt. Sie leben nach dem
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Spruch :
Was du nicht willst, daß man dir tu,
Das füge stets den andern zu.
Da sie gänzlich formlos sind, verlangen
sie, daß man sie so gelten lasse, während
sie selber die peinlichste Beobachtung der
Form ihnen gegenüber fordern. Sie schrei-
ben also den anderen, ohne sich das ein-
zugestehen, eine geistige Überlegenheit und
höhere Verantwortung zu und vermeiden es
daher, ihr Ich ins Auge zu fassen, weil sie
beim Vergleiche verlieren müßten. Sie sind
eine um so größere Landplage, als von dieser
Gattung immer nur einer völlig auswachsen
kann, der dann ungehindert einen ganzen
Kreis von Friedfertigen, Einsichtsvollen ter-
rorisiert.
**
GESELLIGKEIT. Wer in der heutigen
Gesellschaft glänzen will, muß alle Taschen
voll Kleingeld haben. Die Geister, die an
Platos Symposion oder an der mediceischen
Tafelrunde beisammen saßen, wären schwer-
lich brillan e Gesellschafter in einem mo-
237
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demen Protzensalon. Kardinal Bembo hätte
da seine Rede über die Liebe nicht ge-
halten, eine der schönsten Tischreden, die
existieren. Aber man braucht noch gar nicht
zu diesen glänzenden Geistern zu gehören,
es genügt, daß man sich gewöhnt hat, mit
dem Worte einen Gedanken zu verbinden,
so ist man schon für unsere „gute Gesell-
schaft“ unbrauchbar.
**
In der Gesellschaft wird mancher für
einen großen Grundbesitzer angesehen, der
nur zu den öffentlichen Anlagen Zutritt hat
und nicht das kleinste Gärtchen sein eigen
nennt.
Sein rechtes Licht braucht jedes In-
dividuum, besonders in der Jugend. Es gibt
wenig so königliche Wesen, daß sie überall,
wohin sie treten, am rechten Platze sind
und ihr eigenes Licht verbreiten. Am meisten
haben es junge Mädchen nötig, daß man
ihnen zu der richtigen Aufstellung behilflich
ist, und die Familie tut nur, was billig ist,
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wenn sie ihnen das gewährt. Es gibt aber
Familien, wo man für so raffinierte Be-
leuchtung sorgt, daß der Beschauer miß-
trauisch wird und sich fragt, wie wohl das
Bild außerhalb des Ateliers aussehen möchte.
«
Bei einer Diskussion hat der Hausherr
immer einen geistigen Vorteil über die Ein-
geladenen. Man befindet sich in seiner
Welt, und da man seine Voraussetzungen
mit Händen greift, muß man seine Konse-
quenzen gelten lassen. Vor allem: er steht
nicht allein da, die Familie teilt seine Mei-
nungen und vervielfältigt sie, ja sie scheint
sogar seine Theorien durch ihr bloßes Da-
sein zu beweisen. Selbst die Möbel sagen
ja, wenn er spricht. Der Gast ist ein ein-
zelner und kann seine Atmosphäre nicht mit-
bringen. Er muß der Welt, in die er ein-
getreten ist, gerecht werden, und sobald er
seine eigene zum Ausdruck bringen will,
ist er in Gefahr, daß man ihn mißversteht.
**
Langeweile, das heißt langweilige Ge-
sellschaft — denn eine andere Langeweile
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gibt es nicht — ist die giftigste von allen
Krankheiten. Sie löst Leib und Seele auf,
pulverisiert den Menschen und streut seine
Asche in die Winde. Und die Höflichkeit
verlangt, daß wir den Gastfreunden die Hand
drücken, die uns in ihrem Hause dieser In-
fektion preisgegeben haben! Freilich, wir
werden ja nur auf ein paar Stunden gemordet.
Aber kann nicht dieser Abend unser letzter
sein? Und ist nicht jeder Abend in einem
gewissen Sinne unser letzter, da wir doch
niemals wieder als ganz dieselben zusammen
kommen? So behandelt man das Unwieder-
bringliche, das Leben!
**
Ein Abendessen unter Freunden arran-
gieren, ist dasselbe, wie ein Musikstück kom-
ponieren. Nur wenigen ist dieses Talent
heute gegeben. Unsere Geselligkeit ist ein
roher Naturalismus geworden. Eine Haus-
frau würde sich schämen, zwei Schüsseln
auftragen zu lassen, die nicht zu einander
passen. Aber zwei Gäste zusammen setzen,
die gar nichts gemeinsam haben, weder die
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Interessen, noch den Geschmack, noch die
Bildung, das findet sie ganz natürlich. Alles
bleibt dem Zufall überlassen. Die Zahl, die
Auswahl der Gäste, das steht meistens unter
einem ganz anderen Gesichtspunkt, als dem
künstlerischen, unter dem es doch einzig
stehen müßte. Die ausgesuchten Lebens-
künstler, die das verstehen, bereiten ihren
Gästen Stunden, die durchs ganze Leben
nachleuchten. Jeder fühlt da etwas aus sich
heraustreten, einen leichten, geflügelten Ge-
nius, von dessen Dasein er vielleicht soeben
noch keine Ahnung gehabt hatte. Die auf
diesem Gebiete Laien sind, genießen das
Glück der Stunde wie eine Zauberei. Ein
jeder gibt improvisierend sein Bestes von
sich und weiß nicht, daß zuvor ein Regisseur
die Rollen verteilt und fein gegen einander
abgewogen hat. Aus einer solchen Gesellig-
keit kann am Ende eine ganz seltene und
köstliche Wunderblume aufsteigen: ein Mo-
ment, wo das Wort zu schrill und schreiend
erscheint, weil alle sich verstanden haben.
Zusammen schweigen können, ist die höchste
Blüte der Geselligkeit.
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0 © AUS 0 0
DER ZEIT.
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MODERN! — Wenn ich meiner Zeit
auch nur um ein einziges Jahr vorauslebe,
so habe ich das Recht, was heute in Paris
oder Berlin modern ist, schon abgetan und
veraltet zu nennen.
»»
Die Mode liebt zwar das Unechte, aber
sie wechselt damit.
n
Wenn einer sich die Mühe nähme, alle
die verschollenen Werke einer Literatur-
periode, die zu ihrer Zeit hoch geschätzt
waren, nacheinander durchzulesen, müßte es
ihm nicht den Eindruck machen, als träte
er in eine Morgue, wo ihm Leiche an Leiche
fahl und entstellt entgegenstarrte ? Und doch,
einst hat man diese Toten nur wenig unter-
schieden von den Unsterblichen, die ihre
Zeitgenossen waren. Ebenso wird es der
Nachwelt mit vielen der hochbewunderten
Produkte unserer Tage ergehen. Aber
welchen Anstoß erregt der Unglückliche, der
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von Natur gezwungen ist, schon heute mit
den Augen der Nachwelt zu sehen!
LITERARISCHE COURTOISIE. Wenn
man vom Auslande kommt, fällt einem in
der deutschen Literatur und Kritik vielfach
ein unchevaleresker Ton, ein Mangel an
guter Sitte auf. Ein ritterlicher Duellant sa-
lutiert den Gegner, wenn er auf die Mensur
tritt. So halten es alle alten Kulturvölker.
Wäre es nicht an der Zeit, daß unsere
Landsleute bei den Nachbarn ein wenig
Unterricht in der literarischen Courtoisie
nähmen ?
Waschet eure Herzen und Hände und
werdet rein. Keiner betrete das Heiligtum
der Kunst, der nicht ein Festkleid anhat.
Haltet die Ellbogen an den Leib, macht kein
Geschrei, wir sind nicht auf dem Markte. Den
Neid laßt draußen. Der Ruhm, um den sie
sich katzbalgen, ist die klingende Schellen-
kappe eines Narren. Wer eine Gabe zu
bringen hat, der trete vor, ohne Lärm, ohne
Rippenstöße gegen den Nachbar. Die ihr
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5ffl
vor ihm da wäret, macht ihm freundlich Platz,
ihr verliert nichts durch ihn, ihr könnt nur
gewinnen. Denn im Hause der Kunst sind
viele Wohnungen.
RUHM. Noch nie ist der Ruhm so wohl-
feil gewesen, wie in unserer Zeit. Bald wird
unberühmt zu sein für eine Auszeichnung
gelten. Wir kommen am Ende noch in eine
ähnliche Lage, wie die Mondbewohner in
jener Operette, wo alle Menschen mit Deko-
rationen geboren werden und wo man den
Verdienstvollen zum Lohn für jede Leistung
einen Orden abreißt, bis sie völlig ohne Band
und Stern zur allgemeinen Bewunderung da-
stehen.
DEKADENZ. Wie kann ein so kern-
gesundes, noch formloses und halb barbari-
sches Volk, wie die Deutschen, sich weiß
(machen lassen, es sei auch in der Dekadenz,
wie seine viel kulturreiferen Nachbarn! Das
erinnert ja an den Backfisch, der Essig trinkt,
um interessanter auszusehen, oder seine
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SS
roten Wangen unter einer weißen Schminke
versteckt.
**
DER KONJUNKTIV. Wenn ich einen
neuen Roman oder eine Zeitschrift zur Hand
nehme, so kann ich kaum eine Seite lesen,
ohne auf Sätze zu stoßen wie diese: „Ihm
schien, daß er auf hohem Berge stand“ —
„Da wars, als ob eine Stimme zu ihr sprach“,
oder: „Er machte eine Bewegung, als ver-
droß ihn ihr Vertrauen“. Ahnt der Ver-
fasser je, was ein kultiviertes Ohr bei solchen
Sätzen leidet? Es ist ja nicht nur das äst-
hetische Gefühl, das sich empört — o nein,
die Beleidigung geht tiefer. Man sieht der
Muttersprache Wunden schlagen, die viel-
leicht in kurzem unheilbar sein werden, und
muß wehrlos zusehen. Wenn es noch aus
Unwissenheit geschähe! Aber man fühlt in
den meisten Fällen eine Absicht durch, man
merkt, daß der Schriftsteller, der, wie mir
auffiel, fast immer vom Norden stammt, sich
gewissermaßen vor dem Konjunktiv geniert,
gleichsam als ob er ihn zu reserviert, zu
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SS
aristokratisch fände, denn man geht ja gerne
so recht gemütlich in Hemdärmeln. Oder
erscheint ihm der vornehme alte Herr viel-
leicht nicht laut, nicht „schneidig“ genug,
hält er ihn wohl gar für einen armen
Schulmeister, daß er meint, ihn mit dem
Ellbogen vom Trottoir stoßen zu dürfen?
So viele Opfer an grammatischen Formen,
auf denen doch die Kraft und die schmeidige
Sicherheit einer Sprache ruhen, hat uns die
Demokratisierung der Literatur schon ge-
kostet. Und nun soll gar der Konjunktiv
fallen? Will man denn das Deutsche zur
Negersprache machen? Der geistig ge-
sunde Mensch unterscheidet doch zwi-
schen Wirklichkeit und Vorstellung, zwi-
schen dem tatsächlichen und dem eingebilde-
ten Vorgang. Soll dieser Unterschied aus
der Sprache verschwinden ? Fühlt man denn
nicht, welche Verarmung und Verrohung es
ist, wenn man immer mehr Begriffe durch
dieselbe Form ausdrückt und immer mehr
Nüancen verwischt? Und daß dabei am
Ende auch der Geist seine Unterscheidungs-
fähigkeit verliert und zusammen mit der
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B5
Sprache abstumpft? Warum dachten die
Griechen so fein und scharf, als weil sie eine
so fein und scharf unterscheidende Sprache
hatten! Und warum hatten sie diese
Sprache? Weil sie so fein und scharf unter-
schieden. Ihre Denkkraft und ihre Sprache
förderten sich wechselseitig, schon das ge-
ringste sprachliche Versehen zog den öffent-
lichen Hohn nach sich. Diese Sprache war
ihr heiligstes Palladium; an welcher Küste
ihre Auswanderer landeten, da konnten sie
mit ihr ein neues Griechenland bauen, das
dem Ansturm der Barbarei gewachsen war.
Ja, bauen, denn die Sprache, dieser wunder-
bare und doch so gesetzmäßige Bau mit den
geheimnisvollen, unzugänglichen Substruk-
tionen ist zugleich selber die große Bau-
meisterin, die jedes menschliche Gemein-
wesen gründet.
Man klagt so viel über die Verrohung
der Massen, und eine politische Partei
schiebt die Verantwortung dafür der anderen
zu. Was soll man aber zu denen sagen,
die das Werkzeug des Denkens selber ab-
stumpf en und so die Verrohung durch alle
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SS
sss
Schichten der Gesellschaft tragen? Wer eine
notwendige, grammatische Form aus seiner
Muttersprache zu entfernen strebt, der be-
geht ein Attentat auf die Seele seiner Nation.
Auch bei uns sollte sich die wahre Vater-
landsliebe im Kult der deutschen Sprache
zeigen. Mit wem sie rein und unverstümmelt
durchs Leben geht, der hat nicht nötig, mit
den Sohlen am Boden der Heimat zu kleben,
er kann, wie jene Griechen, sich an jeder
Küste niederlassen; wo er steht, da steht
er auf deutschem Grund.
Allen, die sich als Deutsche fühlen,
möchte ich zurufen: Habet Acht! Die Bar-
barei klopft an die Tore. Tretet zusammen
und rettet den Konjunktiv. Noch steht er
in vollem Lebenssaft. In den süddeutschen
Gauen geht er bis heute leibhaft im Volks-
munde um. Aber es muß bewußt für ihn
eingetreten werden. Sonst wird der Geist
der Nachäffung alles dessen, was vom
Norden kommt, sehr bald die süddeutschen
Schriftsteller ergreifen, und auch sie werden
den Konjunktiv preisgeben, mit jenem un-
bedachten Eifer, der sie schon so manches
251
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S5
Mal das Bessere preisgeben ließ. Und dann
können wir künftig singen:
Mir ist es, als ob ich die Hände
Aufs Haupt dir legen — muß,
Betend, daß Gott dich erleuchte,
Du deutscher Genius !
CHINESISCHES. Die Chinesen, die die
vollendeten Papiermenschen sind, verachten
uns, daß unsere Schriftsteller noch am Laute
hängen. Die ihrigen drücken eine Nüance
des Gedankens durch eine Modifikation der
Schriftzeichen aus. Daß wir von wohl-
klingenden Worten oder gar Sätzen
sprechen, erregt ihr Kopfschütteln. Wort
und Satz werden bei ihnen nur durch das
Auge schön. Ein Druck oder Schwung des
Pinsels vermehrt Kraft oder Schwung des
Gedankens, eine Schattierung der Linie
gibt dem Worte Feinheit, Schalkheit, und
was weiß ich! — es wird versöhnlich oder
schroff, je nach den runden oder eckigen
Formen, mit denen es gemalt ist, der Strich,
der es umzieht, ist seine Straffheit und
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Tg pWvV
Sicherheit. Augenscheinlich ist bei den Chi-
nesen das Sprachgefühl erstorben, — an
seiner Stelle hat sich ein eigenes, feines Or-
gan für die Schriftzeichen entwickelt; auf
einer Art von Buchstabensymbolismus be-
ruht ihre literarische Kunst. Durch eine
Schwingung des Buchstabens versetzt der
chinesische Dichter das Herz des Liebenden
in Mitschwingung, und wenn ein neuer
Schnörkel auf dem Papier gefunden ist, so
läuft ein Schauer des Entzückens durch das
Reich der Mitte.
Sind wir vielleicht auf dem Wege zu
einem ähnlichen Chinesenzopf? Mit was für
sonderbaren Mitteln suchen viele unserer
Lyriker heute zu wirken ! Nicht durch sprach-
liche Gestaltung, noch durch die Magie des
Rhythmus und der geheimnisvollen Cäsuren,
die, wie Heine sagt, das leise Atemholen
der Muse sind, sondern durch größtmög-
lichen, unter keiner rhythmischen Bedingung
stehenden Wechsel in der Absetzung der
Zeilen, durch Weglassung der Interpunktion,
was, indem es dem Leser Mühe macht,
als Tiefsinn erscheint, durch Gedanken-
253
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striche an Stelle der Gedanken und ähn-
liche seltsame Versuche soll der Eindruck
besonderer Kühnheiten, Zartheiten, Fein-
heiten u. s. w. erreicht werden. Der größte
Trumpf sind die Minuskeln am Anfang der
Verszeilen, die zwar niemand was zu Leide
tun, aber auch ganz gewiß keinen Hund!
vom Ofen locken. Was sagt das alles
nun dem Ohr — und durchs Ohr der Seele?
Es ist ja nur auf dem Papier vorhanden;
sollte man nicht meinen, daß es eine Poesie
für Taubstumme sei! Wenn sie lieber gleich
eine neue Bilderschrift einführten, damit
wenigstens das Auge ein wirkliches Ver-
gnügen hätte, statt daß nur ein unbestimmtes
Verlangen nach, ich weiß nicht was, erregt
wird. Und dieses geschnörkelte, papieme
Chinesentum sollte uns den magischen
Wohlklang der Poesie ersetzen können?
Nein, keine Sorge, daß der Deutsche, wie
der Chinese, in einer Dekadenzperiode er-
starre. Er braucht nur als großes Kind, das
er ist, jedes Jahr ein neues Spielzeug.
**
All diesen Moden gegenüber gibt es nur
254
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ein Mittel: sie behandeln, als ob sie schon
vorüber wären. Dann hat man sie mit ihrer
eigenen Waffe geschlagen, denn übers Jahr
gibt einem die Mode selber Recht.
n
Es ist immer eine gute Taktik gewesen,
vom Feinde, der noch steht, mit lauter
Stimme zu sagen, daß er schon geschlagen
und in voller Flucht sei.
„Wer flieht? so fragen alle, schon wankt
es hier und dort“
t»
DER PROPHET. Es lebte einmal ein
großer und guter Mann, dem stieg die Not
der Zeit rings wie Wasser an den Hals.
Da glaubte er, daß Eisen die Not heile,
er preßte sein Herz zusammen und rief, Ge-
wissen und Mitleid seien Sklaventugenden,
und das Recht des Stärkeren müsse wieder
gelten auf Erden. Der Mann war ein Dichter
und träumte von einem königlichen Men-
schengeschlecht, das er den Siegesweg über
die Trümmer morsch gewordener Ideale
führen wollte.
255
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m
Werdet hart, o meine Brüder, rief er,
aber von dem schrillen Mißklang dieses
Wortes zerriß seine eigene, zart geschaffene
Seele, und sein Haupt verfiel der Nacht,
der er es geweiht hatte. Das war sein Löse-
geld an das Gewissen.
Es war aber nicht das Schlimmste, was
ihm geschah. Denn es ging dem Pro-
pheten, wie es den Propheten zu gehen
pflegt: Als er seinen Triumph mit dem höch-
sten Preis bezahlt hatte, da verkehrte sich
das Rettungswerk in sein völliges Gegenteil.
Seine Bücher fielen in die Hände des Pöbels
im Geiste, und der Pöbel im Geist glaubte,
mit dem Bruder, der hart sein solle, sei er
gemeint. Und der Pöbel ward hart, er tat von
sich das Gewissen und das Mitleid und alle
Sklaventugenden, nur die Sklavenlaster, die
behielt er bei. Da wurden unsere stillen
Gärten niedergetrampelt und die Axt an
tausendjährige, heilige Eichen gelegt. Die
Nacht aber schützte mitleidig das Haupt des
unglücklichen aristokratischen Träumers, daß
er seine Gefolgschaft nicht mehr zu sehen
brauchte.
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ggggsgggis
Macht des Erfolgs, was machst du aus
der siegenden Idee. Die Religion der Liebe
brachte Folterkammer und Scheiterhaufen,
und an das blumenbesteckte Gastmahl des
letzten Dionysosjüngers setzen sich mit auf-
gekrempelten Ärmeln die Heloten, spuckend
und zähnestochernd.
99
So wäre das ganze Werk dieses großen
Lebens nutzlos? Keineswegs. Wer die ge-
bundenen Geister vom Druck des geistigen
Herkommens befreit, erweist ihnen eine
Wohltat, die auf die Länge jeden Schaden
aufwiegt. Nicht umsonst ist ihr Dank so
groß. Er hat Bewegung in die stockenden
Lüfte gebracht. Er hat gezeigt, wie man
alles Gedachte wieder umdenken kann, und
hat damit das Denken in Fluß gesetzt. Das
ist der Wert seiner Lehre, wie jeder neuen
Lehre. Und wenn sie sich selbst wider-
spricht, nur um so besser. Man darf vom
Denker keinen unumstößlichen Gedankenbau
erwarten. Alles Philosophieren ist ein Ge«
duldspiel, bei dem man mit denselben Wür«
257 »7
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fein die verschiedensten Bilder zusammen-
setzen kann. Der Zweck der Arbeit ist das
Werkzeug, womit sie verrichtet wird: daß
es blank und biegsam erhalten werde, daß
der Geist sich ja nicht fixiere, sondern zu
immer neuem Umdenken des Gedachten
fähig bleibe. Auch Paradoxen sind eine
Wohltat für den reifen Geist; sie heben für
einen Augenblick die Notwendigkeit, der wir
uns beugen, auf. Sie sind erquickend, wie
jene Träume, in denen man etwas völlig
Neues, nie Gesehenes, sieht, das jeder Er-
fahrung Hohn spricht, zum Beispiel eine
Landschaft, wo ein breiter Strom auf Berges-
gipfel fließt, oder ein Meer, das höher liegt,
als die Küste und auf Treppen erstiegen
werden muß. Ein Übel sind sie nur für die
Unmündigen, die sie für ewige Lebensregeln
halten.
**
Der böse Geist der Menschheit hat es
gewollt, daß der Genius im Leben allein sei.
Zwar leben immer gleichzeitig auch seine
Verwandten auf Erden, aber sie sind weit
258
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verstreut, und selbst wenn er ihnen begegnet,
so fehlt häufig das Erkennungswort. Erst
wenn der Geist des Körpers ledig geworden
ist, eilt er auf Windesflügeln durch die Welt
und reißt aus allen Enden die Geister der
Lebenden an sich — die ihm gehören und
die ihm nicht gehören. Aber nun ist er nicht
mehr der liebevolle, der gütige Befreier, der
er im Leben gewesen, er ist ein harter,
freudeloser Überwinder geworden, der seine
Gedanken der Menge aitfzwingt, ohne die
Süßigkeit des Sieges zu kosten, und der die
wohltätige Rückwirkung der anderen auf sich
selbst nicht mehr erfahren kann. Mit diesem
Dämon rechnet dann die Nachwelt ab, ohne
mehr des Liebenden, Gütigen zu gedenken,
von dem jener sich losgewunden hat.
„Er war euch ein brennendes und ein
scheinendes Licht, und ihr wolltet eine Weile
fröhlich sein in seinem Lichte“. Aber nun
wird es Zeit, daß der Größere komme.
W
259 17*
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SS
SS
DER NEUE BACCALAUREUS. Gott
grüße dich, unsterblicher Baccalaureus, da
bist du wieder, und „verwegen wie nicht
einer“! So vollkommen hat dich selbst dein
Meister Goethe nicht gekannt. Welche
Freude hätte er an dir, wenn er dich heute
sehen könnte. Seine Zeit brachte dich ja
noch gar nicht in so monumentaler Größe
hervor. Erst mußten Nietzsche und Stimer
geschrieben haben und mißverstanden sein,
ehe man sich so „grenzenlos erdreusten“
konnte.
Wie geht es zu, daß kein Land, außer
dem deutschen, den Typus des Baccalaureus
erzeugt? Ich glaube, weil der Deutsche von
Natur zurückhaltend ist; fängt er einmal
an, sich vorzudrängen, so verliert er alles
Maß, er beherrscht nicht die Anmaßung,
sondern die Anmaßung beherrscht ihn und
führt ihn, wohin sie will. Ferner, weil wir
keine Gesellschaft haben, die die Unbeque-
men in ihre Grenzen verweist.
Daß die Jugend sich gerne etwas laut
macht, ist ihr Recht, das man ihr nicht miß-
gönnen soll. Bei den lateinischen Stämmen
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hält die Grazie, bei der angelsächsischen die
Erziehung diese Vordringlichkeit in den
Schranken des Anstands. Nur bei den Deut-
schen artet sie so fürchterlich aus. Da will
jeder den anderen an Originalität überbieten.
Jeder will der „Eigene“, der „Einzige mit
seinem Eigentum“ sein, und so entsteht das
wunderliche Zerrbild, das in unserer neuen
Literatur und in der Gesellschaft spukt —
der wiedergeborene Baccalaureus. — Origi-
nal, fahr hin in deiner Pracht! Nur statt
„Original“ sagt man heute: Individuum.
DIE BACCALAUREA. Das Schönste
aber ist, daß der neue Baccalaureus, dank
den Auswüchsen der Frauenbewegung, auch
sein Weibchen gefunden hat, die Bacca-
laurea, denn es ist nicht gut, daß der Mensch
allein sei. Sie braucht durchaus nicht dok-
toriert zu haben, im Gegenteil, die höhere
Töchterschule bringt den Typus noch reiner
hervor. Da ich im Ausland lebe, kannte ich
die Existenz der Baccalaurea bisher fast
nur aus Zeitschriften. Vor kurzem aber hat
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sie sich mir schriftlich im eigensten Ent-
zücken vorgestellt.
Kühn war ihre Handschrift, unermeßlich
ihr Selbstvertrauen. Was sie mir geschrieben
hat, werde ich nicht verraten ; aber ich zweifle
nicht, daß von ihrem Wink der Wandel
der Gestirne abhängt, und ich sage ihr für
ihren wohlwollenden Gruß auf diesem Wege
meinen Dank.
Gott grüße auch dich, Baccalaurea! Ich
habe mich gefreut, deine Bekanntschaft zu
machen. Denn ich sehe wirklich nicht ein,
weshalb die Abgeschmacktheit für alle Zeit
ein männliches Privilegium bleiben soll.
DAS INDIVIDUUM. „Platz da, ich bin
ein Individuum ! Meinesgleichen gab es noch
nie“, ruft es heute aus allen Ecken und
Enden, und in Gruppen zu einem Dutzend
und mehr, einer dem andern zum Ver-
wechseln ähnlich, treten die Individuen auf
den Plan und garantieren sich gegenseitig
die Echtheit ihrer Individualität.
Sonst dachte man, die starken Persön-
lichkeiten entständen durch die starken
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» «aggrasB«'
Gegensätze. Die Griechen, die die eigent-
lichen Schöpfer der Persönlichkeit waren,
schufen sich auf jedem Gebiete die streng-
sten Formen, um ihre feurigsten Kräfte da
hinein zu gießen. Sie schlossen alle Willkür
aus und machten die Gesetzmäßigkeit, aus
der ihr Schaffen sich entwickelte, zum Prüf-
stein des Individuums, das stark sein mußte,
um daneben dennoch seine volle Freiheit
und sein eigenes Gepräge zu bewahren. Aus
dem Zusammenwirken des organisch Not-
wendigen mit der persönlichen Freiheit ent-
sprangen ihre Individualitäten, die so ge-
waltig waren, daß jede in sich die ganze
Menschheit darstellt.
„Nous avous changö tout cela.“ Unser
modernes „Individuum“ steht unter ande-
ren Lebensbedingungen. Wie wild es
sich mitunter auch gebärde, es ist ein zartes
Pflänzchen, das vor jeder rauhen Luft be-
hütet werden muß. Es hat allen Vorschub,
alle Schonung von außen nötig, denn jedes
Hindernis behindert seine Individualität. Es
muß sich, wenn es dichtet, den rhythmischen,
wenn es denkt, den logischen, wenn es redet,
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»«BaWteBM
den grammatikalischen Gesetzen entziehen
dürfen, weil sie alle seiner Individualität scha-
den. Und die Allgemeinheit gesteht ihm diese
Ausnahmsrechte zu, sie sieht ein, daß das In-
dividuum sonst nicht gedeihen könnte, und
eine moderne Nation, die etwas auf sich hält,
bedarf des Individuums, um ihr Selbstgefühl
daran stärken und der Welt verkünden zu
können: Habemus Pontificem! Wir haben
es, wir haben das Individuum!
Sobald ein Mitglied einer Familie in sich
den Hang zur Individualität entdeckt, wird
es durch besondere Rücksichten vor allen
anderen ausgezeichnet. Hat zum Beispiel die
junge Frau eines Morgens erklärt: „Ich will
ein Individuum sein, gebt mir Raum, daß
ich ein Individuum werde“, so kämmt sie
zunächst ihre Haare in breitem Bausch über
die Ohren und streckt sich mit ge-
ringelter Schleppe auf das Kanapee. Der Gatte
trägt ihr die neuesten Romane zu als Futter,
an dem ihre Individualität sich stärkt. Die
Kinder haben keine Ansprüche mehr an sie
zu erheben; die Mutter nimmt ihr diese und
andere lästige Pflichten ab, die Brüder und
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- 5 »
5S
Schwäger verkündigen es mit Triumph:
„Unsere Schwester, beziehungsweise Schwä-
gerin, wird ein Individuum“. Alle heben und
hegen das Wachstum ihrer Individualität, wie
ein Bienenstaat das der königlichen Puppe,
denn es ist eine Ehre für die ganze Familie,
ein Individuum in ihrer Mitte zu haben.
Wenn sie endlich selber Eingebungen emp-
fängt und beginnt, sie aufzuzeichnen, so
stehen Mutter und Gatte abwechselnd vor
ihrer Tür Wache, um jede Störung fern-
zuhalten, damit ihre Offenbarungen der Welt
nicht verloren gehen.
Man glaube aber ja nicht, daß das In-
dividuum nun ein leichtes Leben habe. Keine
Frohn ist saurer als die seinige. Es darf in
nichts mehr seiner Natur und Gewohnheit
folgen. Es muß Schreibunterricht nehmen,
wie ein Abcschütz, um seine alte Handschrift
ab- und eine neue, „individuelle“ anzulegen.
Es darf sich nicht mehr kleiden, darf nicht
mehr stehen und gehen, wie bisher. Es muß
das Grüne blau sehen, und zum Kamel muß
es Zebra sagen. Es darf nicht einmal richtig
deutsch sprechen oder schreiben, weil schon
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darunter seine Individualität Not litte. Es
muß sich das Hirn zerbrechen, um alle die
fühllosen, widernatürlichen Wortbildungen
auszuhecken, wodurch ein Individuum das
andere zu übertrumpfen hat.
Das arme Individuum! Wie es sich
plagen, was es sich versagen muß! Der
ärmste Teufel, der im Schweiße seines An-
gesichts sein Brot ißt, darf doch am Abend
ausruhen. Das Individuum niemals. Tag und
Nacht muß es auf dem Platze sein und
fort und fort rufen: „Seht mich an, mich,
das Individuum!“ Denn wenn es aufhören
würde zu rufen, oder wenn es sich von der
Stelle, wo es Parade steht, entfernte, so
wüßte ja gleich kein Mensch mehr, daß es
ein Individuum ist.
Hat nun das Individuum von seinem
Rackerleben einen Vorteil? O ja, einen
großen — ganz abgesehen von der Aner-
kennung, die die Gesellschaft ihm für seine
Bemühungen entgegenbringt Sobald nämlich
das Individuum in irgend einer Kunst pro-
duktiv wird — und das wird es unter allen
Umständen — so kann es eines großen Er-
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folges gewiß sein. Wenn es vielleicht auch
kein Talent hat, so hat es doch ganz gewiß
nunmehr eine „Eigenart“. O, die Eigenart, sie
ist eine herrliche Sache, so schön wie das
Wort, das sie sich eigens erfunden hat! Mit
ihr kann man an jede Unternehmung heran-
gehen. Man malt ein Bild, ohne zu wissen,
was Farbe ist, man macht Verse, die keinen
Sinn und keinen Rhythmus haben, man
schreibt Bücher, ohne einen einzigen Ge-
danken darin. Ist das Produkt fertig, so
wird es mit der Marke „eigenartig“ ge-
zeichnet, und nun tritt es unmittelbar neben
die großen Meisterwerke. Sein Recht dazu
läßt sich auf der Rechentafel nachweisen:
Nämlich:
Das Meisterwerk trägt den Stempel des
Individuellen.
Folglich war sein Schöpfer ein Individuum.
Der des Produkts ist es gleichfalls.
Individuum ist gleich Individuum.
Die gleiche Ursache hat die gleiche
Wirkung.
Folglich ist das Produkt gleich dem
Meisterwerk.
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B5S
Heil sei der Eigenart und ihrem Besitzer,
dem Individuum!
Aber Geduld! Noch um ein weniges,
so geht es auch mit dem Individuum zur
Neige. Schon ist der Übermensch vorange-
gangen, er hat sich aufgeblasen, bis er platzte.
Das Individuum wird ihm nachfolgen, es
wird an Entkräftung sterben. Dann wird
man lange Zeit das arme, zu Tode gehetzte
Wort nicht mehr brauchen können, bis
unsere Übergangszeit mit ihren Schrullen ver-
gessen ist.
DIE ERZIEHUNG DES WEIBES.
(Aus den Papieren eines Schulmanns.)
Ich bin ein Deutscher und somit konser-
vativ. Wenn ich höre, daß etwas anders
wird, als ich es seit Kindesbeinen ge-
wohnt bin, so ist mir das an sich zuwider.
Da ich aber als ein gebildeter Mann neben-
bei einem gemäßigten Fortschritt huldige,
so widme ich mich in den Stunden, die
mein Beruf mir freiläßt, der Lösung von
Kulturproblemen, und zur Zeit arbeite ich
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an einem maßgebenden Werk über die so-
genannten „Frauenrechte“. Ich habe soeben
die Aufschrift meines zwölften Kapitels ge-
schrieben: Die Erziehung des Wei-
bes geschieht durch den Mann. Da
wird mir die Zeitung auf den Tisch gelegt,
in der sich wieder einmal eine Petition der
Frauen an den preußischen Landtag befin-
det. Die Damen sind nicht zufrieden, daß
sie auf den Hochschulen geduldet werden,
sie fordern auch das Recht der Immatriku-
lation. Nun, dazu habe ich als Schulmann
auch ein Wörtlein zu sagen. Ich werde mir
gestatten, mich mit den Damen recht sach-
lich, wie es meine Art ist, auseinanderzu-
setzen.
In Italien, wo ich einige Jahre als Haus-
lehrer zubrachte — es ist übrigens ein
schönes Land, von dem ich als guter Deut-
scher den Wein und die Gesänge zu schätzen
weiß — in Italien habe ich so recht gesehen,
wie es geht, wenn man die Dinge nicht an
ihrer prinzipiellen Wurzel faßt, sondern nur
die angeborene Läßlichkeit walten läßt. Die
Leute leben nämlich dort ganz ohne The-
26g
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SH
orien, daß unsereinem die Haare zu Berge
stehen. , Schreibt dort zum Beispiel eine Frau
ein gutes Buch, so wundert sich niemand
darüber, und die Kritik tut sogar, als ver-
stände sichs von selbst, daß auch einer Frau
so was passieren kann; sie macht gar keine
andere Mundeinstellung, als wenn sie das
Werk eines männlichen Autors bespricht.
Da sind zum Glück wir Deutsche wissen-
schaftlicher. Ich selbst, der ich lange Zeit
Kritiker von Profession gewesen bin, hatte
für diese Fälle ein eigenes Schema, nach
dem ich zwanzig Jahre gearbeitet habe. Ich
begann jedesmal mit einem Exkurs über die
Stellung des Weibes in Natur und Gesell-
schaft, worin ich zwar dem brutalen, jetzt
überwundenen Standpunkt entgegenzutreten
pflegte, daß das Gewicht der Himmasse über
den Grad der Intelligenz entscheide, aber
gleichwohl geistige Stärke, wenn sie sich
am einzelnen Weibe manifestierte, in die
Gattung des Monströsen verwies. Von all
dem haben sie, wie gesagt, jenseits der Alpen
keinen Dunst. Sie reihen solche Phänomene
ohne weiteres unter ihre Erfahrungen ein
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gr\SY>
SS
und bilden danach ihr Urteil, statt wie sichs
gehört, mit dem Urteil den Anfang zu
machen.
Ebenso leichtsinnig sind sie mit der
Frage des Frauenstudiums verfahren. So-
bald ein paar überspannte Weiber die Zu-
lassung zu Gymnasien und Universitäten ver-
langten, und ein paar gedankenlose Männer
ihnen Recht gaben, antwortete die Regierung
gelassen: Probieren wirs, — und plötzlich,
wie aus den Wolken gefallen, war die Sache
da, und was noch schlimmer ist: sie hält
sich. Na, sehe jeder, wie ers treibe! Wir
sind ja für andere Völker nicht verantwort-
lich. Im Lande der Denker geht man Gott
sei Dank bedächtiger zu Werke, und ich
hoffe, der preußische Landtag wird wissen,
was er zu tun hat. Ich mein’ es ja nur gut
mit den Damen. Du lieber Gott, wenn ich
denke, was das Studium seinerzeit mir für
Mühe gemacht hat und wie schwer mir mit-
unter heute noch das Begreifen fällt, der ich
doch ein Mann bin — wie soll das erst mit den
Weibern werden! Darum ist mein Spruch:
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Voll Dampf zurück! Daß auch sehr be-
deutende Männer für die sogenannten Frauen-
rechte eingetreten sind, geht mich nichts an,
ich bin kein bedeutender Mann, sondern
vertrete den Mittelstand der deutschen In-
telligenz und bin stolz darauf.
Mein Mietsherr Nielsen, der Korrespon-
dent einer Stockholmer Frauenzeitung, der
ein Stockwerk höher wohnt, als ich, schwört,
es noch erleben zu wollen, daß die Frauen
an der Gesetzgebung Teil bekommen. Natür-
lich, der Mann hat eine Frau, die ihm seine
Artikel schreiben hilft, und ist, wie sich von
selbst versteht, unter dem Pantoffel. Da-
für bekommt seine Gnädige von mir die
Wahrheit zu hören. Meine liebe Frau liegt
mir zwar mit Eifersucht in den Ohren, denn
sie behauptet, es habe eine Zeit gegeben,
wo die schwarzen Augen der Schwedin mich
nicht ganz kalt gelassen hätten, doch das
ist ein Irrtum. Jedenfalls ist sie mir jetzt
durch unsere vielen Debatten zuwider ge-
worden. Ich sage ihr: das Weib ist schwach,
es ist beschränkt und unproduktiv — sie ant-
wortet mit Beispielen und Namen aus der
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Geschichte und Literatur, worauf ich mich
natürlich nicht einlasse; es paßt mir nicht.
Neulich las sie mir gar einen Abschnitt
aus Garibaldis Memoiren vor, worin dieses
große Kind behauptet, die Frau sei nicht
nur hingebender, aufopferungsfähiger als der
Mann, sondern auch entschlossener, tapferer.
Nun, daß die deutsche Frau wenigstens nicht
tapfer ist, das sehe ich an der meinigen,
die an keiner Kuh Vorbeigehen kann, ohne
zu zittern, und was die Hingebung betrifft,
davon könnte ich ein Liedchen singen, ich
bin nicht umsonst Ehemann.
Aber was antwortet mir das dreiste
Frauenzimmer auf diese Entgegnung?
„Die deutsche Durchschnittsfrau“, sagt
sie, „steht hinter der Durchschnittsfrau an-
derer Länder zurück. Sie kann als Hausfrau
und Weltdame sich nicht mit der Französin
messen, an Bildung, Charakter und Weitblick
nicht mit der Engländerin, die Russin ist
ihr wenigstens im Naturell überlegen, die
Amerikanerin an unbefangener Freiheit der
Bewegung.“
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Heiliger Gott, das im Lande des Dichters,
der ein Gretchen erschaffen hat!
„Ja,“ sagt sie darauf, „das Gretchenideal
ist es eben, was die deutsche Frau im Rück-
stand gehalten und der ganzen Nation ge-
schadet hat.“
Bitte, erklären Sie mir das.
„Dem Deutschen ist es nur wohl, wo
er sich keinen Zwang antun muß. Auch
die Leidenschaft will bei ihm in Schlaf-
rock und Pantoffeln gehen und sich vor
der Geliebten nicht zu genieren brauchen,
so ist ihm denn ein „arm unwissend Kind“
im Hause immer am bequemsten gewesen.
Darum fehlt es ihm aber auch den anderen
Völkern gegenüber an Form, denn alle
Schuld rächt sich: wie die Mutter, so der
Sohn.“
„Da ist es nur schade,“ sagte ich höh-
nisch, „wenn hochstehende Frauen keine
Söhne haben.“
Das saß! Denn ihre Kinderlosigkeit ist
ein Pfeil, der immer still in ihrem Herzen
schwärt, so behauptet wenigstens meine liebe
Frau. Der plötzliche Stoß hat ihr so wehe
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getan, daß sie sogar ihre gewohnte Schlag-
fertigkeit verlor. Und das war ein Glück.
Sie hätte mich sonst nur daran zu erinnern
gebraucht, daß mein liebes Weib und ich
ja auch keine Kinder haben. Ich ließ also
schnell den Gegenstand fallen und ging auf
etwas anderes über.
Dieser Nielsen aber ist doch ein
Schwachkopf, daß er seiner Frau keine
anderen Ansichten beibringt.
Zwölftes Kapitel: Die Erziehung
des Weibes geschieht durch den
Mann
„Heinrich, was machst du da?“
„Ich nummeriere meine Manuskript-
bogen, Kind.“
„Es paßt mir nicht, daß du die Blätter
im ganzen Zimmer herumstreust.“
„Siehst du, ich gebrauche dazu nur einen
einzigen Stuhl.“
„Wozu denn aber den Stuhl?“
„Daß die Blätter da trocknen, denn auf
dem Schreibtisch ist nicht Platz genug.“
275 18*
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„Nun meinetwegen. — Heinrich!“
„Was, Schatz?“
„Hast du von den frischgebügelten Ta-
schentüchern eins weggenommen ?“
„Kann sein, ich weiß nicht.“
„So denke darüber nach, es fehlt eins
vom Dutzend. — Du weißt, ich will Ordnung
haben in meinen Sachen!“
„Warum bist du denn so schlecht auf-
gelegt?“
„Die Motten sind in deine neuen
Strümpfe gekommen. Jetzt kann ich wieder
einen halben Tag sitzen und flicken ; ist das
ein Leben!“
So also — die Erziehung des Wei-
bes geschieht
Entschieden soll es heute mit dem Ar-
beiten nichts werden. Denn jetzt fängt sie
schon wieder an:
„Heinrich, mach doch das Fenster auf.“
„Warum denn?“
„Weil du geraucht hast und ich das am
Morgen nicht leiden kann.“
„Liebchen ! Ich bin doch in meinem
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eigenen Zimmer, da hab’ ich noch immer
rauchen dürfen.“
„Aber ich muß jetzt deinen Wäsche-
schrank ordnen.“ (Sehr scharf) : „Bin ich
dir vielleicht lästig?“
Meine liebe Frau hat heute ihre Nerven,
da muß man Rücksicht nehmen. Ich öffne
also das Fenster. Gleichzeitig macht sie die
Tür auf, um dem Mädchen zu rufen, ein
Windwirbel fährt ins Zimmer und verstreut
meine Blätter auf den Boden. Ich laufe hinter
den Blättern her, aber einige sind zum Fenster
hinausgeflogen, ich muß ihnen auf die Straße
nach, und als sie endlich geordnet sind, zeigt
sichs, daß eines fehlt. Ich suche durchs ganze
Haus, im Garten, umsonst, das Blatt ist fort
und nicht zu ersetzen. Im Manuskript bleibt
darum eine Lücke. Ich weiß nicht mehr,
was ich über die Erziehung des Weibes
durch den Mann habe sagen wollen.
Und das alles wegen der Nerven meiner
Frau. Ein solches Geschlecht will sich imma-
trikulieren lassen! Du guter Gott!
Wenn sie nur wenigstens bei Nielsens
nichts von dem Intermezzo gemerkt haben!
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KHS
Droben kommt so etwas freilich nicht vor.
Das ist auch kein Wunder. Eine Frau, die
selber schreibt, hat natürlich vor dem Ge-
schriebenen Respekt. Nun, dafür ist mein
Weib ein echtes Weib, ein deutsches Weib,
eine Musterhausfrau und ordnet sich mir
unter. Denn „er soll dein Herr sein“, und
damit basta !
VOM TANZEN.
(Ballsaal. Älterer Herr mit kahlem Kopf
und goldenem Kneifer einer Dame, die so-
eben in ein Fauteuil gesunken ist, eine Er-
frischung bringend):
Gestatten Sie, daß ich Ihnen diese Eis-
limonade anbiete, gnädige Frau, Sie scheinen
erhitzt zu seih.
Dame:
O — Sie sind sehr gütig — ich danke
Ihnen.
Herr:
Bitte, das ist die Pflicht des Alters, wenn
sich die Jugend für uns bemüht hat.
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Dame:
(lächelnd, indem sie das Glas zurückgibt):
Für Sie bemüht hat? Sie glauben wohl,
es werde zu Ihrer Unterhaltung hier ge-
tanzt?
Herr:
Zu meiner Unterhaltung nicht, aber zu
meiner Belehrung.
Dame:
Bitte, wie verstehen Sie das?
Herr:
Ich sehe hier nach dem Barometerstand
unseres Kulturlebens, um mich zu orien-
tieren, was für Strömungen definitiv abgetan
sind und in welcher Richtung der Geist
während der nächsten zehn Jahre wehen
wird.
Dame:
Diese Orientierung finden Sie im Ball-
saal?
Herr:
Nirgends besser, gnädige Frau. Es gibt
immer Augenblicke in der Weltgeschichte,
wo die kommenden Ereignisse vorausgetanzt
werden. In Paris tanzte man seinerzeit Auf-
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klärung und Menschenrechte, lange bevor
die Republik erklärt und die Göttin der Ver-
nunft auf den Thron gesetzt wurde. — Oder
glauben Sie, nur die Tänze der wilden Völker
mit ihrem Suchen und Fliehen hätten eine
Symbolik? Die Tänze der zivilisierten Welt
sind ebenso sprechend und haben dazu das
allerabwechslungsreichste Thema. Jene tan-
zen immer dasselbe Stück Naturgeschichte,
wir aber tanzen jeweils ein neues Stück Zeit-
geschichte. Wenn das auch vielleicht nicht
ganz so schön ist, — Sie verzeihen, daß
ich so aufrichtig bin, das zu sagen — es
ist doch ebenso interessant. Nur im Ball-
saal kann man sich auf einen Blick über
politische, soziale, philosophische, ästheti-
sche Strömungen unterrichten.
Dame:
Das ist mir völlig neu. Darf man viel-
leicht einiges von Ihren Beobachtungen er-
fahren ?
Herr:
Wie hoch würden Sie mein Alter
schätzen, gnädige Frau?
280
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SS
Dame:
Nun, ich würde Ihnen wohl einiges über
Vierzig, aber noch lange keine Fünfzig
geben.
Herr:
Nehmen wir an, Sie hätten Recht. —
So will ich Ihnen vom Tanz des letzten
Vierteljahrhunderts erzählen. O, ich weiß
noch gut, wie der Übergang sich vorbereitete.
Lebhaft erinnere ich mich an gewisse reifere
Damen, die dazumal in den Kontretänzen
das junge Volk zu heimlichem Lachen
reizten durch die kunstvollen Pas, die noch
aus der Zeit ihrer Jugend stammten. Das
war so gefühlsam, so schäfermäßig, man
dachte an die Werth erzeit, an vergilbte
Albumblätter und sentimentalische Poesie.
Die Jugend — ich selber habe nie getanzt —
schritt ihre Touren gehend, in rhythmischer
Bewegung ab, und diese hüpfenden Re-
spektspersonen wirkten unwiderstehlich er-
heiternd auf meine grünen Altersgenossen.
Mich machten sie melancholisch, als sähe
ich einen Totentanz.
281
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Dame:
Das kann ich wohl verstehen.
Herr:
Als ich zehn Jahre später die zivilisierte
Welt im Ballsaal wiedersah, da erstaunte ich,
sie ganz verwandelt zu finden. Ich kam mir
vor wie Rip van Winkle, der sich die Augen
reibt. Man gab sich nicht einmal mehr die
Hand wie sonst, sondern hob zuvor den
Ellbogen spitz in die Luft und fuhr mit
der Hand von oben herunter, indem man
die dargereichte Rechte wie eine Schraube
nach innen drehte. Dem Uneingeweihten —
das war ich damals — erschien die Gebärde
als das Übermaß linkischer Roheit, aber man
teilte mir mit, sie sei das Freimaurerzeichen,
woran die eleganten Leute aller Nationen
sich einander kenntlich machten.
Dame:
Ist es möglich?
Herr:
O, gnädige Frau, es ist vieles möglich.
— Und gar das Tanzen selbst! Vorüber die
Zeit, wo man seine Glieder dem Rhythmus
hingab! Vorüber jede Erinnerung an Stil
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und Form. Jetzt mußte man, um chic zu
sein, immer ein paar Takte zu spät kommen,
wie ein zerstreuter Schauspieler, der sein
Stichwort überhört hat. Dann rannte man
eilig in die Reihe, wobei man möglichste
Unordnung zu stiften suchte. Wer so kühn
war, durch sein Dreinfahren die Figuren
des Tanzes ganz zu zerstören, der fühlte
sich auf der Höhe der modernen Zivilisation.
Statt der tiefen Verbeugungen ein burschi-
koses, halb widerwilliges Kopfnicken, wo-
durch angedeutet wurde, daß man diese, wie
überhaupt jede Form verachtete. Die Ell-
bogen drückten, sogar beim schönen Ge-
schlecht, durch ihre Stellung aus, daß man
im Kampf ums Dasein auch Püffe auszu-
teilen verstand, der Tritt mußte schwer sein
und von ferne das Schreiten der Arbeiter-
bataillone ahnen lassen.
Dame:
(sich die Hände vor die Ohren haltend):
Schrecklich !
Herr:
Ja, es war ein lehrreicher Abend. Ich
war mitten in die Revolution der Materie
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gegen Geist und Form geraten. An jene
Zeit erinnern Sie sich natürlich nicht, Sie
sind zu jung dazu.
Dame:
Ich war wohl noch nicht ballfähig; es
muß schon eine Weile her sein.
Herr:
Für mich ist es gestern gewesen. Es war
das letzte Mal, daß ich einen Ballsaal besuchte
vor dem heutigen Tag. Da las ich auf Einen
Blick die Signatur der Zeit. *Sie hieß Kraft
und Stoff, Survival of the fittest,
Struggle for life. Der Abend überhob
mich der Lektüre von Marx und Darwin,
von Zola und Ibsen. Ich ließ mir die „Ent-
stehung der Arten“ — auch die der Unarten
nebenbei — das„Assommoir“,die„Gespenster“
einfach vortanzen. Ein unvergeßlicher Abend.
Durch die Musik ging es zuweilen wie Dyna-
mitexplosionen ; das war der Anarchismus, der
an die Türen klopfte. Freilich, die jungen Leute,
die so unbefangen in voller Naturflegelei
einherschlenkerten oder rasten, hatten keine
Ahnung, was sie taten. Sonst hätten sie
lieber das Tanzen ganz aufgegeben, ^denn
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man kam damals nicht gern in den Ver-
dacht, Phantasie zu haben. Sie glaubten nur
den Stoffwechsel zu beschleunigen. Daß man
lauter Allegorien tanzte, das wußte man da-
mals so wenig wie heute.
Dame:
Nun, und was für Allegorien haben wir
Ihnen heute vorgetanzt?
Herr:
Sie tanzen heute eine neue Wende der
Zeiten. Götter- und Götzendämmerung. De-
kadenz, das heißt Untergang einer alten
Weltanschauung und den Aufgang einer
neuen. Genau läßt sie sich noch nicht er-
kennen. Es sieht alles noch so verworren
aus. Aber Materialismus, Naturalismus haben
Sie zu Grabe getanzt, das ist gewiß. — Sehen
Sie hier das Paar, das sich soeben mit einem
Händedruck trennt. Des Jünglings Ellbogen
weisen noch immer nach außen, aber es
ist nicht mehr das banausische von ehedem.
Es sieht jetzt etwa aus, wie auf dem be-
rühmten Reiterstandbild des Colleone zu Ve-
nedig. Das bedeutet Nietzschetum, Herren-
moral, blonde Bestie, modernes Renaissance-
285
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ideal, freilich fast schon ein wenig passö.
Nun betrachten Sie auch die Dame, sie ist
besonders instruktiv, denn sie ist schon etwas
weiter vorgeschritten. Im Reformkleid, dünn,
fast körperlos, lang und schwank, müde und
schmachtend, mit schlangenhaften Wendun-
gen. An Schmuck und Kleidung alles phan-
tastisch und schnörkelhaft, ohne Anfang und
Ende, wie ein Gedicht von Gabriele d’Annun-
zio. Das ist die Rache der Form an der
Materie. O, und sehen Sie, hier kommt noch
eine, die die erste überbietet. Die geringelte
Schleppe, die langen Bänder, der gestreckte
Hals, die dünnen Arme, alles endlos, auf
mystische Fernen deutend. Form ohne Kör-
per — und ohne Geist. Nein, auch keine
Form mehr, nur noch eine Linie, die ins
Unendliche weist. Es ist klar, wir stehen
vor einer Periode des Übersinnlichen, wir
sind vielleicht schon drinnen. Aber da
kommt auch bereits die Reaktion. Heute ist
eben alles kurzlebig, auch die Kulturperioden.
Sehen Sie den jungen Mann mit dem lachen-
den Gesicht und den behenden Gliedern,
der seine Schöne im Sturmschritt daherträgt ?
286
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MflsasiiSteaüw
Das ist der wahre „Europäer von über-
morgen“. Der tanzt Kraft und Schön-
heit, Natur und Kunst, „Loves Co-
rning of ag e“, der tanzt die Kultur der
Zukunft. Er wischt sich die Stirn, der Gute.
Ich glaube es gern, es mag saure Mühe
sein, so ein Kapitel Kulturgeschichte vor-
auszutanzen.
Dame:
O, Sie sind spaßhaft.
Herr (sich verabschiedend) :
Gnädige Frau — es war ein genußreicher
Abend, ich danke Ihnen. In zehn bis zwanzig
Jahren hoffe ich wieder das Vergnügen zu
haben. Bis dahin empfehle ich mich.
Andere Dame:
Was war das für ein Herr, der eben
von Ihnen wegging?
Erste Dame:
O, ein Sonderling, der den Geist-
reichen spielte. Er sah etwas semitisch aus.
Übrigens hat er mir seine Karte gegeben.
Sehen wir, wie er sich schreibt: — — Dr.
Ahasverus, Berichterstatter „Unseres Jahr-
tausends“.
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495 Maschinensatz und Druck der Deutschen Buch- und
Kunstdruckerei, G. m. b. H., Zossen — Berlin SW. ix.
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